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Abschied Von Freistatt

Titel: Abschied Von Freistatt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Asprin
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gewiß auch nicht gänzlich unbeteiligt.
    Sie alle hatten beim Tod Lowan Vigeles' ihre Finger im Spiel gehabt. Ro-Karthis war nicht der einzige, der ihrem Vater die Kehle durchschnitten hatte. Zip, Walegrin, Onkel Molin, Kadakithis. Nicht einer von ihnen war unschuldig.
    Sie fuhr mit den Fingerspitzen behutsam über das Porträt. Die Farbe und die Leinwand waren warm, fast zu heiß zum Anfassen. Es hatte ihr in dieser Nacht angst gemacht, als sie Lalo zusah, der es auf ihr Drängen hin malte. Sie war zu Tode erschrocken gewesen. Seine besondere Magie hatte die Wahrheit enthüllt, die sie nicht zu akzeptieren bereit gewesen war: daß sie mit Körper und Seele dem Sonnengott verschrieben war. In ihrer Furcht war sie wie ein dummes Kind geflohen.
    In sieben Monaten hatte sich das geändert. Sie umklammerte das Juwel, das Feuer im Auge Gottes hieß, ohne es aus seinem Beutel zu holen. Weitere Veränderungen warteten auf sie und auf Freistatt. Aber zunächst mußte sie noch eine Nacht überleben, und sie hatte Angst, denn sie fühlte ihre Kräfte schwinden. Mehr als alles andere wollte sie schlafen.
    Doch erst mußte sie sich Rashans Fortschritte im Tempel vergewissern. Wenn der Brillant in seinem geheiligten Platz angebracht war, dann war Zeit zu ruhen und angemessen um ihren Vater und Tante Rosanda zu trauern, dann konnte sie nachdenken, welchen Verlauf ihr Leben künftig nehmen sollte.
    Sie verließ ihre Gemächer und ging durch die oberen Gänge, wobei sie vermied, in Richtung der Tür ihres Vaters zu schauen. Sie verbannte den Gedanken an seinen Tod für den Augenblick. Sie ging nach unten, nickte zwei fremden Frauen freundlich zu, die von ihrer Küchenarbeit lächelnd aufsahen, und schritt über den hinteren Garten auf das Vogelhaus zu. Dort waren ein Dutzend Käfige, in jedem hauste ein edler Raubvogel. Ein großer Schrank enthielt Schellen, Wurfriemen und gute Handschuhe, die man für den Umgang mit diesen Vögeln brauchte.
    Chenaya nahm einen dicken Lederhandschuh und einen Wurfriemen aus dem Schrank und ging zu Reyks Käfig. Der Falke flatterte mit seinen wundervollen Flügeln zur Begrüßung, als er auf ihren Arm kletterte und sie die Wurfschlinge um sein rechtes Bein legte. Reyk war aufgeregt, sie zu sehen, und grub die Krallen in den gepolsterten Lederhandschuh. Sie waren zu lange getrennt gewesen, sie und der Vogel.
    Vom Vogelhaus aus konnte sie die Übungsplätze sehen. Eine große Zahl von Männern arbeitete hart an den gewaltigen hölzernen Maschinen und in den Sandgruben. Dahinter lagen die alten, hastig errichteten Baracken, die nicht mehr benutzt wurden. Gegenüber den Übungsplätzen, zur Südwand hin, befanden sich die Stallungen. Dorthin eilte sie.
    Ein großer Mann, den sie nicht kannte, verbeugte sich, als sie sich näherte. »Lady Chenaya«, sagte er mit schroffer, aber höflicher Stimme, »Ihr ehrt uns.« Sie nickte und schenkte ihm ein kurzes Lächeln, das war die einzige Erwiderung, zu der sie fähig war. Er sah aus wie ein erfahrener Stallmeister, und sie vermutete, daß Dayrne ihn irgendwo aufgetrieben hatte. Die Ställe waren tatsächlich sauber wie jeder andere Teil Landendes. Frisches Stroh lag aus, und die Pferde standen zufrieden in ihren Boxen.
    Gefolgt vom Stallmeister näherte sie sich der Box, in der ihr großer Grauer stand. Er war am Morgen gut gestriegelt worden und seine Mähne kurz geschnitten. Er hatte sie sicher getragen in den vergangenen Tagen. Chenaya führte ihn an seinem Halfter aus der Box und gab dem Stallmeister durch Zeichen zu verstehen, daß sie ihn gesattelt haben wollte. Er machte eine Leine am Halfter fest und führte den Grauen zum Sattelraum.
    Chenaya schlenderte zum hinteren Ende des Stalles, wo die Pferde standen, die entweder zu jung waren oder noch nicht ordentlich eingeritten. Sie fand das Fohlen, in das sie große Hoffnungen setzte, das Produkt einer von Gott gesegneten Verbindung zwischen Lowans schneeweißer Stute und Tempus' Vollblut Trospferd.* Sie betrachtete das junge Tier mit angenehmer Verwunderung. Sein Fell war von einer goldenen Farbe, wie sie noch keine zuvor gesehen hatte, die Mähne und der Schweif waren flachsfarben. Es hatte das Trosfeuer in den Augen.
    »Er wächst schnell, Herrin. Ich habe noch keinen wie ihn gesehen.«
    Reyks Schwingen schlugen in der Luft, und er stieß einen grellen Warnschrei aus. Chenaya hatte nicht gehört, daß der Stallmeister sich ihr von hinten genähert hatte. Der Mann machte rasch einen Schritt zurück,

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