Abschied Von Freistatt
am meisten anziehen würde, war an der oberen, der Stadt näheren Seite zusammengedrängt. Die für die Exilbeysiber bestimmte Ware dagegen war näher dem Schiff zu ausgestellt. Dazwischen boten drei Seidenhändler ihre Stoffe sowie fertige Kleidungsstücke feil.
Seide war auf dem Festland bereits seit dem Ilsigischen Reich bekannt, allerdings war die auf dem Festland hergestellte Seide dick und spröde, verglichen mit dem feinen Gewebe, welches das Beysibische Reich in großen Mengen produzierte, und ließ sich schwer färben. Nicht einmal die ilsigischen Alchemisten hatten solche Farben fertiggebracht, wie jene, in denen die beysibischen Seidenstoffe prunkten. Sie schimmerten in der Sonne, und jeder konnte sehen, daß beysibische Seide ihr Gewicht in Gold wert war.
Es wunderte Walegrin deshalb nicht, als die Frau stehenblieb, um sie zu begutachten, wenngleich er sich fragte, wie sie glaubte, Seide erstehen zu können, wenn schon eine Strafe von zwei Kronen sie so erschreckte. Warum sie Seide kaufen wollte, war eine andere Frage, die er nicht beantworten konnte. Trotz ihrer Schönheit wurde beysibische Seide in Freistatt kaum gekauft. Man bot sie in zwei gleichermaßen unpraktischen Qualitäten an: als hauchdünner Chiffon, der sich an jeder Unebenheit verfing und riß; und als Damast mit Pferdehaarbindung so steif, daß er von selbst stehen konnte.
Im Beysibischen Reich, wo es das ganze Jahr sowohl kühl wie trocken war, ließen sich aus solchen Stoffen vielleicht tragbare Kleidungsstücke machen. Trug in Freistatt jemand beysibische Seide, war unverkennbar, daß er sich darin nicht wohl fühlte. Es war auch Bequemlichkeit und nicht ein Gefühl für Schicklichkeit, das die Beysa und andere Beysiberinnen veranlaßte, statt ihrer busenfreien Kostüme die üblichen rankanischen Gewänder zu tragen.
Die Frau begutachtete jeden Ballen. Sie versuchte, den Stoff zu zerknittern, prüfte ihn auf seine Reißfestigkeit, ja kniete sich sogar nieder, um sich die Unterseite anzusehen. Die Erwartung der Händler stieg, aber da ging sie weiter.
»Was sucht Ihr eigentlich?« fragte Walegrin, als seine Begleiterin sich dem Ende des Kais näherte, wo die teuren Sachen ausgestellt waren. »Es wird nicht billiger.«
Sie blickte ihn an, als wäre ihm plötzlich ein zweiter Kopf gewachsen. »Ich habe noch nicht gesehen, was ich suche«, erklärte sie und schritt weiter.
Walegrin warf einen Krug mit rundem Boden seinem Besitzer zurück und beeilte sich, sie wieder einzuholen. Sie näherten sich der Laufplanke am Heck. Beysiber kauften von Beysibern und kreischten in ihrer eigenartigen Sprache um irgendeine Ware, die wahrhaftig nur Fischaugen anziehend finden konnten. Die Frau ging nun langsamer. Sie hielt neben einem schmierigen Burschen, der Keramikschlangen feilbot, und bedeutete ihm, daß sie handeln wollte.
Der Beysiber war fast so verwirrt wie der Kommandant. Die Frau schlug sich auf die Hand und schüttelte den Kopf, während er eines der schreiend bunten Reptilien nach dem anderen aus seiner Schachtel hob. Walegrin verstand nur ein kleines bißchen Beysibisch, aber wenn er noch vor Mittag von hier wegkommen wollte, würde er einschreiten müssen.
Er nahm die gestikulierenden Hände der Frau in seine und sagte: »Der Mann hat Euch alles gezeigt, was er hat. Ihr deutet ständig auf leere Schachteln, und er sagt Euch, daß in ihnen nichts zu verkaufen ist!«
»Ihr versteht ihn.? Dann sagt ihm, daß ich die Umhüllung kaufen möchte.«
»Die - was?«
»Die Umhüllung. die Verpackung, das Zeug um seine kitschigen Figuren!«
»Umhüllung?«
Walegrin schüttelte den Kopf. Er kannte mehrere beyisibische Wörter für Abfall, bei denen sich der kahle Schädel des Händlers wahrscheinlich tief röten würden. Er kannte das Wort für kaufen - falls es für den Kauf der Zeit einer Frau im Freudenhaus dasselbe bedeutete, wie etwas von einem Händler zu kaufen. Er öffnete die Augen, so weit er konnte und fing zu reden an. Wenn er sein übliches Glück hatte, würde es gleich zu einem Skandal kommen.
Der Händler brüllte vor Lachen. Er klatschte sich auf den nackten Bauch, und sein Kopf nahm genau die Farbe an, die Walegrin nicht zu sehen gehofft hatte. Seine Augen quollen hervor. »Ihr macht Spaß!«
Walegrin schluckte und versuchte es ein weiteres Mal mit noch mehr Gesten als zuvor. Er hatte das Gefühl, daß der schmierige Beysiber ihn sehr wohl verstand, und daß die dritten und vierten Versuche lediglich zur Belustigung der
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