Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abschiedskuss

Abschiedskuss

Titel: Abschiedskuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Hellberg
Vom Netzwerk:
ohne seinen Platz auf dem Bett verlassen zu müssen.
    »Verdammt, Maja, dass ich dir das erzählt habe. Jetzt werde ich wieder nächtelang nicht schlafen können«, sagt er hingerissen.
    »Erzähl schon, was ist dann passiert?«, sage ich und knuffe ihn ungeduldig in die Seite.
    »Einer der Studenten arbeitete offenbar aushilfsweise als Museumsführer im Anthropologischen Museum. Er entwendete die Flasche heimlich und nahm sie zu dieser Party hier im Nordflügel mit. Sie merkten, dass irgendetwas darin gluckerte, entfernten den Korken und rochen an der Flasche. Man glaubte, es handele sich um alten Absinth, und teilte die Tropfen, damit alle probieren konnten. Innerhalb weniger Stunden waren vier Menschen tot.«
    »Wie das?«, frage ich und schiebe meine kalten Füße unter Ashleys Bettdecke.
    »Ein Mädchen starb bereits während der Party«, sagt Ashley. »Sie erlitt eine Art Anfall. Die anderen starben noch in derselben Nacht und am Morgen darauf. Ähnliche Anfälle. Kollaps. Rettung unmöglich.«
    »Das muss hier ja einen ziemlichen Aufruhr gegeben haben«, sage ich.
    »Allerdings«, nickt Ash. »Die Zeitungen waren voll davon. Von der Story mit der Hexe in der Flasche. Unwiderstehlich gruselig. In einer Zeitung wurde allerdings behauptet, es habe sich um einen Gruppenselbstmord gehandelt, die Opfer hätten angeblich beim Examen gemogelt und man sei ihnen auf die Spur gekommen. In einer anderen Zeitung wurde Eifersucht vermutet, ein Giftmord, der auf verhängnisvolle Weise schiefgegangen sei. Offenbar war eine der Toten schwanger. Es gab unzählige Theorien. Dann wurde es still. Der damalige Rektor der Oxford University saß offenbar im Vorstand mehrerer großer Zeitungen. Schließlich kam man zu dem offiziellen Ergebnis, dass es sich bei allen Todesfällen um Unfälle gehandelt habe. Aber soll man an einen solchen Zufall wirklich glauben?«
    »Und die Überlebenden?«
    »Verflucht bis in alle Ewigkeit?«, meint Ash, lächelt ironisch und breitet die Hände aus, um anzudeuten, dass es lediglich eine Vermutung ist.
    »Höchstwahrscheinlich von Unglück, Einsamkeit und Tod heimgesucht.«
    Ein trockener Zweig schlägt gegen das Fenster. Wir zucken erst beide zusammen und lachen dann erleichtert. Ich erhebe mich und reibe meine kalten Hände.
    Auf dem einzigen Sessel im Zimmer liegen mehrere große an den Rändern verleimte Aquarellblöcke und etwas, das aussieht wie eine mit Farbe bekleckste Werkzeugkiste. Auf dem Schreibtisch stapeln sich dünne Sperrholzplatten, auf denen sorgfältig große Blätter mit groß skizzierten Kompositionen befestigt sind. Andere sind bereits grundiert. Gesprenkelte rosa Schleier und lebhafte graumelierte Wolken. Auf der Fensterbank stehen aufgereiht einige verschlossene Marmeladengläser, die verschiedene Farbmischungen enthalten. Kobaltblau, Samtgrau, Rubinrot. Das Ganze wirkt recht professionell.
    »Als ich klein war, habe ich geglaubt, es sei ganz einfach, Aquarelle zu malen«, sagt Ash, als hätte er meine Gedanken erraten.
    »Sie wirkten auf mich so wunderbar spontan. Dabei muss man wahnsinnig viel Disziplin aufbringen und mehrere Schritte im Voraus planen. Sehr viel Zeit geht dafür drauf zu warten, dass wieder eine Schicht trocknet. Als würde man Schach mit dem Material spielen, jedoch mit gewissen vollkommen unberechenbaren Faktoren. Deswegen bin ich auch dabei geblieben. Diese verrückte Technik hat es mir wirklich angetan«, sagt er und fährt zärtlich die Kante einer luftigen Landschaft entlang, die er mit Stecknadeln an der Wand über dem Schreibtisch befestigt hat.
    Es handelt sich um eine Studie in Graublau und Weiß über einem goldfarbenen Sandstreifen. Ein enormer Himmel über einer kleinen Gruppe von Menschen, die sich über riesige Dünen vorwärts bewegen. Die Minimenschen bestehen nur aus wenigen wohlüberlegten Pinselstrichen, aber man hat trotzdem den Eindruck, als hätten sie verbissene kleine Gesichter, wehende Chiffonröcke und Locken, die im Wind tanzen. Ash hat allen Grund, zufrieden mit sich zu sein, und ich glaube, das ist er auch. Das Werk erinnert an Turner, und als ich das sage, werden Ashleys rosige Wangen noch etwas rosiger, und er strahlt regelrecht vor Stolz, ehe er wieder zu seiner Spaßvogelrolle zurückfindet.
    »Aber Turner hatte seine Figuren nicht sonderlich im Griff, weißt du. Anatomisch inkorrekte Strichmännchen. Wenn überhaupt. Es ist wirklich erhebend zu erkennen, dass selbst die größten Meister ihre schwachen Seiten haben. Ich

Weitere Kostenlose Bücher