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Abschiedskuss

Abschiedskuss

Titel: Abschiedskuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Hellberg
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Lust auf einen Schlummertrunk hast, bevor du zu Bett gehst, habe ich noch etwas Whisky anzubieten«, meint Ash.
    Hilfesuchend sehe ich Nikita an.
    »Geh schon«, lächelt sie. »Ich muss noch einen Moment hierbleiben. Und mach dir wegen Ash keine Sorgen, er ist in dieser Beziehung ohnehin nicht an dir interessiert.«
    »Was meinst du?«, frage ich unbedarft.
    »Aber Süße«, meint Ash. »Dein Radar funktioniert wohl nicht sonderlich gut. Schwuler als ich kann man doch wohl kaum sein.«
    Arm in Arm schwanken wir die Treppen hinauf zu Ashleys Einzelzimmer. Es ist nicht ganz klar, wer eigentlich wen stützt. Von den Wänden blicken alte Oxfordveteranen auf uns herab. Einige schauen streng, andere amüsiert. Graham Greene, J. R. R. Tolkien und … Bill Clinton?
    »Allerdings«, sagt Ash. »Er wohnte im Südflügel, Zimmer 32. In mehreren Pubs in der Gegend werden immer noch ihm zu Ehren Marshmallows verkauft. Aber jetzt musst du erzählen.«
    Er sucht den Lichtschalter, findet ihn nicht und gelangt zu dem Schluss, dass wir auch ohne Licht zurechtkommen. Der Korridor ist fensterlos und stockfinster.
    »Was soll ich erzählen?«, frage ich.
    »Als ich kam, hat Nikita gesagt, du hättest ein Gespenst oder irgendetwas gesehen. Du weißt doch, dass es hier wahnsinnig spukt, oder? Was hast du eigentlich genau gesehen?«
    Er stößt aufs Geratewohl seinen Schlüssel in Richtung Schloss und findet es schließlich auch. Galant hält er mir die Tür auf. Ich stolpere in das schwarze Zimmer und schüttele die Schuhe von den Füßen.
    »Ich habe nichts gesehen. Es war nur ein übler Traum. Ich habe in letzter Zeit ziemlich viel durchgemacht. Wenn du mir einen Whisky einschenkst, erzähle ich es dir.«
    »Du brauchst es gar nicht erst zu versuchen, Maja, ich kenne Leute wie dich. Meine Mutter ist genauso. Du gehörst zu den Leuten, die Dinge sehen.«

6. Kapitel
    »Und wer sind die Gespenster von Mill Creek Manor?«, frage ich und dringe weiter in Ashleys Zimmer vor. Sofort stoße ich mir das Knie an der Bettkante und fluche innerlich. Das Zimmer ist offenbar kaum größer als ein begehbarer Schrank.
    Ashley antwortet nicht sofort. Erst einmal zündet er zwei Kerzen an, die sich mit seinen Rasiersachen auf dem schmalen Bord über dem Waschbecken drängen. Dann holt er eine Whiskyflasche und zwei geschliffene Sherrygläser. Er gießt ein und reicht mir eines. Vorsichtig stoßen wir mit den zerbrechlichen Gläsern an, und es schüttelt uns gleichzeitig, als der starke Alkohol durch unsere Kehlen läuft.
    »Es kursieren in der Tat einige fürchterliche Geschichten«, sagt Ashley leise und bedeutet mir, auf seinem Bett Platz zu nehmen.
    »Hast du noch nie vom Massaker von Mill Creek Manor gehört?«, fragt er und lässt sich auf dem anderen Bettende nieder. Es gibt keine andere Sitzgelegenheit.
    Ich schüttele den Kopf und habe das Gefühl, als würden sich ein paar eisige Finger unter meinem Pullover mein Rückgrat hinauftasten.
    »Das ist noch gar nicht so lange her. Vielleicht fünfundzwanzig Jahre oder so«, fährt Ashley fort und schaut in sein Glas.
    »Massaker ist auch eher übertrieben. Es heißt, einige Universitätsangehörige hätten mit ein paar Studenten eine Party veranstaltet. Und diese Party ist wohl richtig ausgeartet.«
    »Wie meinst du das?«, frage ich und ziehe die Beine an.
    »Sie beschlossen, die Sussex-Hexe freizulassen«, sagt Ash.
    Ich schließe die Augen und sehe das starre Raubtierlächeln, die schwarzen Zähne vor mir.
    »Was hast du gesagt?«, frage ich leise.
    »Die Sussex-Hexe. Sie war in einer kleinen versilberten Glasflasche mit Korken eingesperrt. Ich meine natürlich den Geist der Hexe.«
    Ich reiße ungläubig die Augen auf. Ash fährt fort:
    »Diese kleine Flasche lag in einer der Vitrinen im Anthropologischen Museum hier in Oxford. Die Hexe saß seit irgendeinem Hexenprozess im 18. Jahrhundert dort gefangen. Das war natürlich nur so eine alte Sage. ›Wird das Gefäß geöffnet, kommt die Trauer‹, stand auf einem Zettel, der mit einem grünen Band an der Flasche befestigt war. Meine Mutter hat diese Silberflasche gesehen, als sie als Kind auf Klassenfahrt in Oxford war. Sie kann sich noch gut daran erinnern. Sie sagt, dass einem die Hand, wenn man sie auf das Vitrinenglas mit der Flasche legte, innerhalb einer Sekunde vor Kälte erstarrt sei.«
    Ashley leert sein Glas und streckt die Hand nach dem Whisky aus, der neben dem Schreibtisch auf dem Fußboden steht. Er bekommt die Flasche zu fassen,

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