Abseitsfalle. Kadir Bülbüls zweiter Fall
alten Eltern zu
verbringen, also gehen wir jetzt sofort zu ihm und stellen ihm was Gutes vor
die Tür‘. Und nun bist du zufällig zu Hause, was für ein Glück!«
Latife
Bülbül drängte sich an Kadir vorbei in den Flur und schlüpfte in ein Paar der
dort ausliegenden Gästepantoffeln.
Kadir
seufzte. Das würde länger dauern, und er war eigentlich nur schnell nach Hause
geflitzt um sich umzuziehen, bevor er zum Super World of Football weiterfuhr. Schaf Willem war heute Morgen durch die angelehnte Terrassentür
seines Zimmers geschlüpft, offensichtlich wieder wohlauf und vom Anblick des
saftig grünen Elefantengrases im Palmengarten magisch angezogen. Kadir rannte
hinter ihm her, zunehmend verzweifelt angesichts der ihm gänzlich neuen
Erkenntnis, wie schnell und wieselig so ein Schaf Haken schlagen konnte. Kurz
bevor Kadir seine Finger im Fell vergraben konnte, büchste Willem immer wieder
aus, den Kopf nach hinten gewandt und Kadir frech ausmähend, während seine
schwarzen Knopfaugen unschuldig in die Sonne blinzelten. Verschwitzt und mit
Grasflecken übersäht war Kadir vor einer halben Stunde nach Hause gekommen,
hatte geduscht und frische Sachen angezogen. Zeit genug, dachte er, für meine
Nachbarin Asya meiner lieben Mutter zu funken, dass bebegim zu Hause
ist.
Nazmi
folgte seiner Frau in den Flur und blinzelte Kadir entschuldigend zu. Nimm’s
ihr nicht übel, Sohn, im Herzen weiß sie, dass du so oft zu uns kommst, wie du
nur irgend kannst. Laut sagte er:
» Sulu
köfte, manti, dolma und sarma . Deine Mutter hat sich mal wieder
selbst übertroffen.«
Latife
lächelte verschämt aber sichtlich stolz und nahm eine Jacke vom Boden auf, die
Kadir schon vor Tagen achtlos hingeworfen hatte. Sorgfältig strich sie die
Ärmel glatt, leerte die Taschen und hängte die Jacke an einen Bügel an die
Garderobe.
»Du
sollst nicht immer so viel Zeug in deinen Taschen mit dir herumschleppen, du
beulst sie aus! Habe ich dir nicht beigebracht, sorgfältig mit deinen Sachen
umzugehen? Und musst du in deinem Beruf nicht auch oft eine Pistole tragen?
Stell dir vor, du wühlst in deinen Taschen und findest sie nicht, weil so viel
Krempel darin ist! Was werden deine Chefs sagen, wenn die Verbrecher dann
ungehindert das Weite suchen?«
Gehorsam
nickte Kadir und versuchte so auszusehen wie ein Junge, der nie wieder seine
Jacken- oder Hosentaschen mit Schlüsseln, Fröschen, Tennisbällen, Kordeln,
Handys oder Bonbons ausbeulen würde. Er fragte sich, wie seine Mutter auf die
Idee kam, dass er mit einer Pistole durch die Hotelanlagen streifte, immer
bereit, einen Gast, der einen geklauten Bademantel im Gepäck hinausschmuggeln
wollte, mit einem gezielten Treffer zwischen die Augen niederzustrecken.
Vielleicht sollte er sich zur Abschreckung für Willem einen Revolver besorgen,
möglicherweise hielt eine Schusswaffe das Schaf in Schach.
Vater
und Sohn brachten die Töpfe und Dosen in die Küche und Latife schlurfte ins
Wohnzimmer. Während sie das Essen verstauten hörten sie Latife, die laut mit
sich selbst sprach und sich eben, wie so oft, fragte, warum ihr Sohn ausgerechnet
in dieses marode, winzige Steinhaus in der Altstadt gezogen war, so weit weg
von seinen alten Eltern, die in einem herrlichen, neuen Wohnkomplex in einem
modernen Viertel lebten. Wie konnte er es nur ertragen, dass es jedes Mal einen
Kurzschluss gab, wenn er gleichzeitig die Kaffeemaschine und die Waschmaschine
anstellte, wie kam er damit zurecht, dass es oft überhaupt keinen Strom gab und
er sich mit einer Kerze in der Hand durchs Haus tasten musste?
Kadir
lächelte und schloss den Kühlschrank. Er hatte vor langer Zeit aufgegeben
seiner Mutter erklären zu wollen, warum er mit seinem Haus und seinem Viertel so
verwachsen war und nicht näher an der Touristenmeile wohnen mochte.
Nazmi
lehnte an der Spüle und sah durch das Fenster in den Hinterhof. Wäsche
flatterte in der klaren, ungewöhnlich warmen Wintersonne, und zwei kleine
Jungen kickten einen Ball gegen die Hauswand. Er wäre auch gerne einmal wieder
mit einer Kerze durchs Haus gewandert, er hatte dies oft genug getan, als er
frisch verheiratet gewesen war und mit Latife in einem kleinen Anbau neben dem
Haus ihrer Eltern gewohnt hatte. Dann war sein Bruder Yusuf Ende der siebziger
Jahre nach Deutschland gegangen und hatte Nazmi und seine Familie wenig später
nachgeholt. In der Kölner Mietswohnung hatten sie nie Kerzen gebraucht. Als sie
nach fast drei Jahrzehnten nach Dereköy
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