Abseitsfalle. Kadir Bülbüls zweiter Fall
betrachtete den Kleinen, der bei den Worten seiner
Mutter keine Miene verzogen hatte und nur weiter mit dem Kopf ruckte, um eine
bessere Sicht zu bekommen. Ab und an biss er in sein Brot und schien nicht zu
bemerken, dass die Marmelade über seine Finger lief und sein T-Shirt
bekleckerte.
Das
bedeutet also außer Rand und Band, überlegte Schmalfuß. Ich hatte mir
törichterweise immer etwas anderes darunter vorgestellt.
Er
begegnete dem Blick von Julia Grambrod, die zynisch lächelte und sich
offensichtlich bewusst war, dass sie beide im Moment das Gleiche von dem
pubertierenden Jungen dachten.
»Ich
hab ihm schon gesagt, dass diese Fußballrowdys nicht hier mit dem gemeinen Volk
im Buffetrestaurant speisen. Man macht sich rar, man hält sich für etwas
Besseres.« Gesa Wohlschlegel langte über den Teller von Maximus Grambrod und
schnappte sich die Kaffeethermoskanne. »Du erlaubst, dass ich die Kanne wieder
in die Mitte stelle, nicht wahr? Man ist schließlich nicht alleine auf der
Welt, man befindet sich in einem sozialen Raum, andere möchten vielleicht auch
einen Schluck zu sich nehmen. Die Spieler«, fuhr sie an Schmalfuß gewandt fort,
»tafeln im A-la-Carte-Restaurant Ozman gegenüber der Rezeption. Für ganze zehn
Tage ist uns Normalsterblichen, die ihr Lebensglück nicht darin sehen, einen
Ball über den Rasen zu treiben, der Eintritt in dies Restaurant verwehrt. Sie können
sich sicher sein, dass ich das nicht auf mir sitzen lasse, für diese
Unannehmlichkeit verlange ich finanziellen Ausgleich.«
Was
für herrliche, smaragdfarbene Augen! dachte Schmalfuß erstaunt. Welch
unvergleichliche Farbe! Wenn nur der verkniffene Mund und dieser grässliche,
weinrote Haarschopf, von dem sie sicherlich irrtümlich annimmt, dass er das
Grün ihrer Augen zum Strahlen bringt, nicht wären!
»Wir
haben die Reise hierher gewonnen!«, rief Saskia Haverkorn unvermittelt, als
hätte sie Angst, dass sie durch die Einmischung von Frau Wohlschlegel wieder
zurück in der Versenkung verschwände. »Der Kleine hat ein ewig langes und
kompliziertes Kreuzworträtsel im Internet gelöst, und dann haben wir tatsächlich
gewonnen. Zehn Tage. Und Halbpension.«
»All
Inclusive!«, konterte Julia Grambrod und machte eine triumphierende Geste, als
säße sie im Circus Maximus und wäre im Begriff den Daumen nach unten zu drehen.
»Oh,
Halbpension ist völlig ausreichend. Ich hab uns schon Brote für nachher
geschmiert.« Saskia Haverkorn langte unter ihren Stuhl und zog eine Tupperdose
in der Größe eines Schuhkartons hervor. »Und heute Abend gibt es dann wieder
lecker Buffet!«
»So,
ich hol mir noch Nachschlag!« Julia Grambrod stand auf und blickte einladend in
die Runde. »Soll ich jemandem etwas mitbringen? Nein, Maximus, mach den Mund
wieder zu, ich weiß, auch ohne dich anzusehen, dass Würstchen mit Speck in
Leuchtbuchstaben auf deiner Stirn geschrieben steht. Keine Chance, mein Lieber.
Du bist für heute fertig.«
»Ich
begleite Sie, sofern meine Anhänglichkeit für Sie keine Unannehmlichkeit
darstellt. Vielleicht könnten Sie mir, als Alteingesessene sozusagen, gütigst
den Weg zu Knäckebrot und Kräuterquark weisen, mehr bin ich des Morgens nicht
imstande zu mir zu nehmen.«
Der
Ex-Kommissar stand auf, kniff die Bügelfalten seiner Hose glatt und wollte Frau
Grambrod, die ihm huldvoll zugenickt hatte und bereits strammen Schrittes
Richtung Buffet marschierte, eiligst folgen. Da klammerten sich fleischige Finger
an seinen Arm, rissen ihn nach unten, und eine Stimme drang in heiserem Flüstern
an sein Ohr: »Hilf mir, Herbert! Bitte! Eines von diesen kleinen türkischen
Würstchen, diese scharfen Dinger, die einem die Tränen in die Augen treiben!
Nur eines. Wenigstens! Oder auch zwei! Steck sie mir nachher heimlich unter dem
Tisch zu, ich verstaue sie in meinen Socken!«
Schmalfuß
blickte verwundert in die bittenden, feuchten Kinderaugen von Maximus Grambrod.
Seine Unterlippe zitterte und dies Vibrieren hatte sich bis in sein Doppelkinn,
das ihm wie eine Schürze fast bis zum Schlüsselbein reichte, fortgesetzt. Eine
Welle warmen Mitleids erfasste den Ex-Kommissar, und er fühlte sich wie ein
Gefängniswärter, der wusste, dass er einem unschuldig Gefangenen die ersehnte
Feile im Kuchen zustecken würde.
»Verlassen Sie sich auf mich,
Herr Maximus. Würstchen so viel in Ihre Socken passen, dies verstehe ich als
Auftrag und Los – alea iacta est! Wir dürfen die Damen nicht immer siegen
lassen, nicht
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