Abseitsfalle. Kadir Bülbüls zweiter Fall
Ob Sie Fußball spielte, weiß ich nicht… aber in
jedem Falle ist es wieder eine Ausländerin.«
»Machen
wir uns nix vor«, begann Poppo seine Rede und stützte seinen Fuß auf der Holzbank
ab. Addi Haxler betrachtete nervös Poppos Schuh neben seinem Bein. Was, wenn
der Trainer bereits im Bilde war und ihn nur zappeln ließ? Würde er kräftig
ausholen und den beturnschuhten Fuß gegen Addis Rippen krachen lassen? Addi
klemmte die Hände zwischen die Knie und wagte nicht aufzusehen.
Wie
war er nur in diesen Schlamassel geraten?
Unruhig
war er vorhin auf dem Gang vor der Umkleidekabine auf und ab getigert, bis
Poppo endlich auftauchte, und hatte sich wie ein Ertrinkender an seinen Arm
geklammert. Jetzt nicht, hatte Poppo gesagt, ich muss erst ein paar Takte mit
meiner aufgelösten Truppe sprechen, sonst überstehen wir dies letzte
Vorbereitungsspiel nicht, und die Pressefuzzis werden sich wie Aasgeier darauf
stürzen. Wir reden später, ja? Zugezwinkert hat er mir, dachte Addi und
schluckte hart. Als wäre alles wie immer.
Addi
sah auf und blickte in die Runde. Ein Außenstehender hätte vermutet, dass hier
auch alles wie immer aussah. So eine wie die Ratzki, dachte Addi bitter, so
eine, die keine Ahnung hat.
Wie
Mönche während einer Schweigeandacht, stellte Poppo fest. Blicke nach unten,
Hände gefaltet, kein Ton, kein Laut, als hätten sie Angst, dass der Abt ihre
Verfehlungen an oberster Stelle angezeigt hat. Er vergaß, was er ursprünglich
hatte sagen wollen und ließ sich von der Stimmung im Raum leiten.
»Diese
Geschichte ist wie ein nicht verheilendes Wundmal auf unserer Haut«, begann er
und lauschte dem angenehmen, weichen Klang seiner Stimme nach. Ronny Specht am
anderen Ende des Raumes sah auf. »Wir spüren es, wenn wir aufwachen, wenn wir
gehen, wenn wir essen und trinken. Bei manchem wird es sich vielleicht noch entzünden
und der ganze Körper wird infiziert. Was dann passiert, hängt von der
Konstitution jedes Einzelnen ab, ich kann’s nicht genau sagen. Niemand kann
das. Was, werden sich manche fragen, passiert, wenn sie den Mörder nicht
finden? Seien wir ehrlich, Jungs, das ist nicht unwahrscheinlich nachdem, wie
sich die Polizei bislang angestellt hat. Obwohl. Eigentlich keine schlechte
Idee, die gesamte grün-weiße Bagage einzusperren, oder? Verdient haben sie’s
allemal. Und warum bei den Fans haltmachen? Scheint mir nicht fair. Dann ist
endlich mal Ruhe im Karton…«
Poppo
bemerkte, wie Alexander Sefec aus seiner Starre erwachte und sich nach hinten
lehnte, den Blick nunmehr auf Poppo gerichtet. Poppo meinte den Anflug eines
Grinsens zu bemerken.
»Wenn
sie also den Mörder nicht finden, dann passiert - ja, was? Nichts. Absolut gar
nichts. Sie werden uns nicht ewig hier festhalten können, ich kann euch
versichern, dass schon alle Strippen im Hintergrund gezogen werden, dass wir
nur unwesentlich später als die anderen Mannschaften die Zelte abbrechen können.«
»Werder
kann morgen schon zurückfliegen!«, warf Boris nörgelnd ein.
»Ein
Grund mehr, ihnen heute das Fell über die Ohren zu ziehen, nicht wahr? Das
Stadion ist zum Bersten voll, da draußen herrscht ein Rummel wie beim Champions
League-Finale! Wir müssen der Welt zeigen, dass wir ein Team sind, das sich
durch nichts erschüttern lässt, dass wir immer nach vorne schauen. Lasst nicht
zu, dass dieses Spiel als die Schande von Dereköy in die Annalen unserer
Vereinsgeschichte eingeht! Lasst es nicht zu! Wir trauern um Hakan, ja, aber
wir zeigen dies nur mit unseren schwarzen Armbinden und einer Schweigeminute,
und nicht durch ein von Trauer geschwächtes Spiel, als wären wir alle
mittellose, paralysierte Witwen, die vom Leben nichts mehr zu erhoffen haben!«
Cem
Yildiz stützte das Kinn auf und sah Poppo mit einer Mischung aus Zweifel und
Erwartung an.
»Ich
glaube nicht, dass das Problem unsere Trauer ist«, meinte er langsam. »Wer
glaubt uns denn, dass wir Hakan hinterherweinen, nachdem er uns als einen
Haufen Jämmerlinge und Schwachsinnige bezeichnet hat. Bin gespannt, was er der
Ratzki noch so alles erzählt hat. Mein Problem ist nicht so sehr, dass Hakan ermordet wurde, sondern dass es überhaupt einen Mord gegeben hat. Ich trauere
nicht, mir ist nur… äh… mulmig.«
Ein
zustimmendes Raunen begleitete Cems Worte.
»In
Ordnung. Du trauerst nicht. Völlig in Ordnung. Ihr alle trauert nicht.« Poppo
nahm den Fuß von der Bank und schritt langsam durch den Mittelgang. »Euch ist
mulmig. Ihr wisst
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