Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abseitsfalle. Kadir Bülbüls zweiter Fall

Abseitsfalle. Kadir Bülbüls zweiter Fall

Titel: Abseitsfalle. Kadir Bülbüls zweiter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Fu , Asmin Deniz
Vom Netzwerk:
nicht, was passiert ist und ihr verachtet den
Nestbeschmutzer. Korrekt? Dann lasst es mich so formulieren: Wir trauern nicht um Hakan, nein, aber wir zeigen das nicht, sondern tragen unserer
schwarzen Armbinden und lassen die Köpfe während einer Schweigeminute hängen,
und dann geben wir unser Bestes auf dem Platz und zeigen kein durch Angst oder Verunsicherung geschwächtes Spiel, als wären wir alle mittellose,
paralysierte Witwen, die vom Leben nichts mehr zu erhoffen haben! So herum
besser?«
    Poppo
schwieg einen Moment, dann fuhr er fort:
    »Es
geht immer darum das, was von außen kommt, zu meistern. In jeder Lebenslage.
Wir können nicht steuern, was uns passiert, aber wir haben Macht über unsere
Reaktionen. Eine Situation kann Trauer auslösen oder Angst – ich sage euch: ihr
habt die Wahl, das eine oder das andere zuzulassen, aber das Ergebnis muss für
alle das Gleiche sein: ihr geht da raus und gebt euer Bestes, denn die
Situation, egal wie schlimm sie ist, hat nicht die Macht euch zu überwältigen.
Ihr könnt sie nutzen, ihr könnt den Spieß umdrehen – aber nur, wenn ihr im
Sattel bleibt und selbst die Richtung vorgebt. Ich denke, die meisten von euch
kennen die Geschichte von Schaf Willem, oder? Du nicht, Modibo, und du auch
nicht, Ruben? Nun, dann erzähle ich sie euch, auch wenn ich Ronny ansehe, dass
er sich gerade fragt: die olle Kamelle! Was will der verrückte Trainer von uns?«
    Es
wurde unmerklich lauter in der Kabine, leise Lacher, Füßescharren, Aufatmen.
    »Ein
westfälischer Willem ist ein Widerspruch in sich. Jeder, der unsere Region kennt,
weiß, dass keine liebende Mutter ihr Kind mit einem holländischen Namen
belasten würde. Wir zeigen ihnen freundlich den Stinkefinger, wenn sie mit
ihren Wohnmobilen über unsere Straßen gurken, aber ihre Namen, nein, die wollen
wir nicht, soweit reicht die Liebe nicht. Das ist heute so, und ihr könnt euch
sicher vorstellen, dass die Stimmung nur wenige Jahre nach dem Zweiten
Weltkrieg namentlich auf niederländischer Seite noch frostiger war. Nun, anno
1951 gab es das erste Freundschaftsspiel unserer Mannschaft mit einer
holländischen Truppe. Man war nervös, verunsichert, auch ein wenig ängstlich,
wie das Spiel, gerade auch auf der Tribüne, verlaufen würde. Die Holländer
kamen an. Alles friedlich. Anpfiff. Und da passierte folgendes: Schafe,
schwarze Schafe, stürmten unter lautem Gepfeife und Gejohle der Holländer auf
den Platz, angetrieben von holländischen Fans, die wie Hütehunde um die
Schäfchen herumschwirrten. Binnen Sekunden war der Platz voller schwarzer
Schafe, die Ordnungshüter, damals noch an einer Hand abzuzählen, Spieler,
Schiedsrichter, alle bunt durcheinander, rannten hinter den Tieren her oder vor
ihnen davon. Man wollte uns zeigen, dass wir miese Kerle waren, schwarze Schafe,
rechtlos, nicht würdig, uns schon wieder auf den Fußballplätzen dieser Welt zu
zeigen. Man mag sagen, die Holländer hatten nicht ganz Unrecht, man mag sagen,
ihre Ablehnung war übertrieben. Wichtig ist aber…«
    Poppo
machte eine Kunstpause. Er wunderte sich selbst immer wieder, dass die
Willem-Geschichte zu jeder Lebenslage passte und fuhr deshalb schwungvoll fort:
    »Wichtig
ist aber, was wir Bütter daraus gemacht haben. Wir haben uns die schmähenden,
oder in dem Falle mähenden – oh, Boris, du hast gelächelt, ich hab’s genau
gesehen! – Insignien des Gegners angeeignet und damit den Spies umgedreht.
Unser Maskottchen war eine, wenn auch lustige, feindliche Waffe, und wir haben
sie den anderen einfach aus der Hand genommen und so getan, als wäre sie das
schönste Präsent, das man uns hätte machen können. Und hier und heute werden
wir es genauso halten. Wir werden Trauer zeigen, weil es angemessen ist, und
wir werden, was immer Hakan dieser Ratzki noch ins Ohr geflüstert hat, annehmen
und jedes einzelne Wort zu unserem Vorteil auslegen.«
    »Heute
Morgen stand noch nichts im Internet«, meinte Ronny Specht und stampfte mit dem
Fuß auf, der eingeschlafen war.
    »Vielleicht
wartet sie bis nach dem Spiel?«
    Poppos
Blick glitt über Patrick Schleinit z , dessen Kopf als einziger noch nach
unten hing. Sein Kinn berührte fast die Brust, und er schien Mühe zu haben
normal zu atmen.
    »Was
ist los, Patrick?«
    Langsam
hob Patrick den Kopf und versuchte seinen unsteten Blick auf den Trainer zu
fixieren. Eine Welle der Übelkeit überschwemmte ihn, und er presste hastig eine
Hand vor den Mund.
    »Mir
ist nicht so gut«,

Weitere Kostenlose Bücher