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Absender unbekannt

Absender unbekannt

Titel: Absender unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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Gespräch mit Dr. Dolquist. Ich zitiere aus Dr. Rottenheim: >Das Subjekt verhält sich konform zu allen Kriterien, die bei Patienten prävalent sind, die an der dualen Affliktion von narzisstischer Persönlichkeitsstörung in Kombination mit einer induzierten wahnhaften Störung leiden, in der das Subjekt die auslösende oder Primärursache ist.<„
„Bitte in Englisch!“ forderte Devin.
„Dr. Rottenheim spricht in seinem Bericht davon, dass das Opfer einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung, in unserem Fall ein jahrelang nicht in Aktion getretener Mörder, davon überzeugt ist, dass seine Taten auf einer höheren Ebene anzusiedeln sind. Er verdient Liebe und Verehrung, einfach weil es ihn gibt. Er weist alle Merkmale eines psychisch Gestörten auf, ist besessen von den ihm zustehenden Ansprüchen und hält sich selbst für etwas Besonderes oder sogar für Gott. Ein Mörder, der an einer induzierten wahnhaften Störung leidet, kann andere davon überzeugen, dass seine Störung vollkommen logisch und natürlich ist. Daher das Wort >induziert<. Er ist die Hauptursache, der Veranlasster der Täuschung der anderen.“
„Er hat Evandro Arujo oder Alec Hardiman überzeugt, vielleicht auch beide, dass Töten gut ist“, erklärte Angie.
„So sieht es aus.“
„Und inwiefern stimmt dieses Täterprofil mit Gault oder Glynn überein?“ fragte ich weiter.
„Gault hat Sie an Diandra Warren verwiesen. Glynn hat Sie auf Alec Hardiman gebracht. Gutwillig betrachtet, würde man davon ausgehen, dass keiner der beiden etwas mit den Morden zu tun haben kann, weil er zu helfen versucht hat. Aber denken wir daran, was Dolquist gesagt hat: Dieser Mensch hat eine Beziehung zu Ihnen. Mr. Kenzie. Er fordert Sie heraus, ihn zu fangen.“
„Also könnte Gault oder Glynn Arujos unbekannter Partner sein?“ „Ich halte alles für möglich, Mr. Kenzie.“
Die Novembersonne kämpfte aussichtslos gegen die Vorankriechenden, schiefergrauen dicken Wolkenschichten. Im Sonnenlicht selbst war es so warm, dass man die Jacke ausziehen konnte. Im Schatten suchte man nach einem Parka.
„In diesem Brief“, sagte Bolton, als wir den Schulhof überquerten, „schrieb der Verfasser, einige der Opfer seien >würdig<, andere kämen >ganz schuldlos in Verruf.“
„Was soll das heißen?“ fragte ich.
„Das ist ein Zitat von Shakespeare. In Othello sagt Jago: >So mancher kommt ganz schuldlos in Verruf<. Viele Wissenschaftler behaupten, das sei der Moment, in dem Jago von einem Kriminellen mit Motiv zu einem Wesen wird, das von dem besessen ist, was Coleridge >unmotivierte Bösartigkeit nennt.“
„Ich komme nicht mehr mit“, meldete sich Angie.
„Jago hatte einen Grund, sich an Othello zu rächen, so unerheblich der auch war. Er hatte aber keinen Grund, Desdemonas Tod zu wollen oder eine Woche vor dem Angriff der Türken die venezianische Armee ihrer Offiziere zu berauben. Man argumentiert hier, er sei so beeindruckt gewesen von seiner eigenen Fähigkeit zum Bösen, dass es als Motiv reichte, um jemanden umzubringen. Am Anfang des Dramas gelobt er, die Schuldigen zu vernichten, Othello und Cassius, aber im vierten Akt ist er bereit, jeden zu vernichten, >so mancher kommt ganz schuldlos in Verrufs nur weil er dazu in der Lage ist. Einfach weil es ihm Spaß macht.“
„Und dieser Mörder…“
„Könnte so ähnlich beschaffen sein. Er tötet Kara Rider und Jason Warren, weil sie die Kinder seiner Feinde sind.“
„Aber Stimovich und Stokes?“ fragte Angie.
„Da gibt es keine Motive“, antwortete er. „Das macht er zum Spaß.“ Ein leichter Nieselregen besprenkelte unser Haar und unsere Jacken.
Bolton griff in seine Aktentasche und reichte Angie ein Blatt Papier. „Was ist das?“
Bolton blinzelte. „Eine Kopie vom Brief des Killers.“
Angie hielt den Brief mit ausgestreckter Hand von sich, als sei sein Inhalt ansteckend.
„Sie wollten doch mitmachen“, bemerkte Bolton. „Stimmt’s?“ „Ja.“
Er zeigte auf den Brief. „Jetzt ist es soweit!“ Er zuckte mit den Achseln und ging zurück Richtung Schulhof.

30
    patrick,
das wichtigste ist der schmerz, das musst du verstehen. am Anfang gab es keinen richtigen plan. ICH habe jemanden getötet, wirklich, und ICH fühlte all das, was man angeblich fühlen soll – schuld, Abscheu, angst, schäm, Selbsthass. ICH nahm ein bad, um MICH von ihrem blut zu reinigen, in der Badewanne musste ICH MICH übergeben, aber ICH bewegte MICH nicht. ICH saß da, das wasser stank nach ihrem blut und

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