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Absender unbekannt

Absender unbekannt

Titel: Absender unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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Lebensmittelmarken für Obdachlose getroffen.
Die Glocke von St. Peter schlug einmal, als Devin mich vom Auto abholte und mit mir den Hügel hinauftrottete. Die Glocke klang gleichgültig, unbekümmert schlug sie in dieser kalten Nacht in dieser gottverlassenen Gegend. Der Erdboden war schon fast gefroren, unter unseren Füssen knirschten vereiste Grasbüschel. Im Licht der Laterne oben auf dem Hügel konnte ich nur wenige Gestalten ausmachen. Ich fragte Devin: „Ist heute das gesamte Revier auf den Beinen, Dev?“
Er sah mich an, die Schultern hochgezogen. „Möchtest du lieber, dass wir die Sache an die große Glocke hängen? Damit hier massenweise Reporter, Neugierige und unser Nachwuchs auf den Beweisstücken rumtrampelt?“ Er warf einen Blick auf die zweistöckige Häuserreihe oben auf dem Hügel. „Das ist das Tolle an Mordfällen in so einer kaputten Gegend: Keiner schert sich drum, deshalb steht uns auch keiner im Weg.“
„Wenn es allen scheißegal ist, Devin, dann erzählt dir aber auch keiner was.“
„Das ist der Nachteil, klar.“
Devins Kollege Oscar Lee war der erste Bulle, den ich erkannte. Oscar ist der größte Mann, den ich je gesehen habe. Neben ihm sieht Hulk Hogan magersüchtig und Michael Jordan wie ein Zwerg aus; selbst Bubba wirkt neben Oscar etwas mickrig. Auf dem ballongroßen schwarzen Kopf trug er eine schwarze Lederkappe, und er rauchte eine Zigarre, die wie ein Strand nach einem Tankerunglück roch.
Als wir auf ihn zukamen, drehte er sich um. „Verflucht noch mal, was soll denn Kenzie hier, Devin?“
Oscar. Der wahre Freund zeigt sich erst in der Not.
Devin erwiderte: „Die Karte. Du weißt doch.“
„Also kannst du diese Frau eventuell identifizieren, Kenzie?“ „Wenn ich sie mal sehen könnte, Oscar. Vielleicht.“
Oscar zuckte mit den Achseln. „Vorher sah sie wahrscheinlich besser aus.“
Er trat zur Seite, so dass ich die unter einer Straßenlaterne liegende Leiche sehen konnte.
Sie trug nichts außer einem hellblauen Slip. Durch die Kälte oder die Totenstarre oder etwas anderes war ihr Körper geschwollen. Man hatte ihr die Haarsträhnen aus der Stirn geschoben, Mund und Augen waren geöffnet. Die Lippen waren blaugefroren, sie schien etwas anzusehen, das sich direkt hinter mir befand. Die dünnen Arme und Beine waren ausgestreckt; unten am Hals, aus den nach oben gedrehten Handflächen und den Fußsohlen quoll dunkles Blut hervor, das zu einer dicken Masse gefroren war. In der Mitte ihrer Handflächen und in den verdrehten Fußknöcheln glänzten kleine runde, abgeflachte Metallstücke.
Es war Kara Rider.
Sie war gekreuzigt worden.
„Ganz normale Nägel“, erklärte Devin, als wir anschließend in der Black Emerald Tavern saßen. „Ganz einfache. Gibt’s bloß in zwei Dritteln aller Haushalte in dieser Stadt. Werden häufig von Tischlern benutzt. „
„Tischler“, wiederholte Oscar.“„Genau“, meinte Devin. „Der Täter ist Tischler. Er hat die ganze Sache mit Jesus satt. Hat sich vorgenommen, den Helden seiner Zunft zu rächen.“
„Notierst du dir das?“ fragte mich Oscar.
Wir waren zur Bar gefahren, weil wir Micky Doog suchten, die letzte Person, mit der ich Kara gesehen hatte, doch war er seit dem frühen Nachmittag nicht mehr aufgetaucht. Devin hatte seine Adresse von Gerry Glynn bekommen, dem Inhaber der Kneipe, und ein paar Streifenpolizisten vorbeigeschickt, doch selbst Mickys Mutter hatte ihren Sohn seit gestern nicht mehr gesehen.
„Heute morgen waren ein paar von denen da“, erzählte uns Gerry. „Kara, Micky, John Buccierri, Michelle Rourke.
Die gehörten alle zu der Clique, die hier vor ein paar Jahren herumhing.“
„Sind sie zusammen gegangen?“
Gerry nickte. „Ich kam gerade rein, als sie gingen. Sie waren schon ziemlich voll, und es war noch nicht mal ein Uhr mittags. Aber Kara ist eigentlich ein nettes Mädchen.“
„War“, verbesserte Oscar, „war ein nettes Mädchen.“
Es war schon fast zwei Uhr nachts, und wir waren betrunken. Gerrys Hund Patton, ein riesiger Deutscher Schäferhund mit schwarzbeigem Fell, lag in drei Metern Entfernung auf der Theke und sah uns an, als überlege er, ob er uns die Autoschlüssel abnehmen solle. Schließlich gähnte er und ließ seine schinkengroße Zunge heraushängen, während er offensichtlich desinteressiert in die andere Richtung blickte.
Nachdem der ärztliche Leichenbeschauer gekommen war, hatte ich noch zwei weitere Stunden in der Kälte verbracht, während Karas Leiche in einen

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