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Absender unbekannt

Absender unbekannt

Titel: Absender unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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Kanäle eingestellt. Einer zeigte Football nach australischen Regeln,
einer offenbar eine Folge Kojak, und der dritte ließ zum Sendeschluss die glorreiche Fahne Amerikas im Wind wehen. Gerry hatte sich nicht bewegt, hatte nicht einmal geblinzelt, seit er das Schnapsglas neben sich gestellt hatte. Ich konnte ihn kaum atmen hören, so flach blies er die Luft durch die Nase. Er beobachtete mich gar nicht, sondern starrte durch mich hindurch, als sähe er etwas hinter meinem Kopf.
Dann griff er wieder nach der Flasche Wodka hinter sich und schenkte sich noch einen ein. „Also ist Alec wieder da und verfolgt uns alle wieder.“ Er kicherte. „Ach, ich hätte es wissen müssen.“ Patton sprang vom Billardtisch und trabte in die Mitte der Kneipe, er sah mich an, als säße ich auf seinem Platz, dann sprang er vor mir auf die Theke und legte sich hin, die Pfoten über den Augen. „Er möchte, dass du ihn streichelst“, erklärte Gerry.
„Nein, will er nicht.“ Pattons Brustkorb hob und senkte sich. „Er mag dich, Patrick. Na los!“
Einen Augenblick fühlte ich mich wie Mae, als ich zögernd die Hand nach dem wunderschönen schwarz-braunen Fell ausstreckte. Unter dem Fell ertastete ich harte, angespannte Muskeln, dann hob Patton den Kopf, winselte und leckte mir über die andere Hand, drückte seine kühle Nase dankbar dagegen.
„Ein riesiger Schmusekater, was?“ flüsterte ich.
„Leider“, antwortete Gerry. „Aber erzähl’s nicht weiter.“
„Gerry“, begann ich erneut, während Pattons dickes Fell unter meiner Hand hin und her wogte, „könnte dieser Alec Hardiman Kara Rider…?“
„Umgebracht haben?“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, nein. Das wäre selbst für Alec ein bisschen zu schwer. Alec Hardiman ist seit 1975 im Knast, und solange ich lebe, kommt er nicht mehr heraus. Wahrscheinlich auch nicht, solange du lebst.“
Ich trank mein Bier aus, und Gerry, ganz Kneipier, hatte die Hand schon wieder in den Eiswürfeln, bevor ich die Flasche auf der Theke abgestellt hatte. Diesmal holte er ein Harpoon hervor, drehte die Flasche in der fleischigen Hand und öffnete sie mit dem an der Seitenwand des Kühlschranks angebrachten Flaschenöffner. Ich nahm das Bier entgegen. Etwas Schaum lief an meiner Hand herunter, und Patton leckte ihn ab.
Gerry lehnte den Kopf gegen das Regal hinter ihm. „Kanntest du einen Jungen namens Cal Morrison?“
„Nicht richtig“, erwiderte ich und schluckte, denn immer wenn ich den Namen Cal Morrison hörte, lief mir ein Schauer den Rücken herunter. „Er war ein paar Jahre älter als ich.“
Gerry nickte. „Aber du weißt, was mit ihm passiert ist.“
„Er wurde auf dem Blake Yard erstochen.“
Gerry starrte mich einen Moment lang an, dann seufzte er. „Wie alt warst du damals?“
„Neun oder zehn.“
Er griff nach einem weiteren Schnapsglas, goss einen Fingerbreit Stolichnaya ein und stellte es vor mir auf die Theke. „Trink!“ Ich erinnerte mich an Bubbas Wodka und an seine Wirkung auf meinen Gleichgewichtssinn. Anders als mein Vater und seine Brüder hatte ich wohl ein entscheidendes Gen der Kenzies nicht mitbekommen, denn ich konnte Hochprozentiges nie einfach so wegkippen.
Ich lächelte Gerry schwach an. „Doswidanja.“
Er hob sein Glas, und wir tranken, aber mir stiegen die Tränen in die Augen. Ich musste blinzeln.
„Cal Morrison“, sagte er, „wurde nicht erstochen, Patrick.“ Er seufzte wieder, es war ein tiefes, melancholisches Seufzen. „Cal Morrison wurde gekreuzigt.“

15
    „Cal Morrison wurde nicht erstochen?“ fragte ich.
„Nein!“ höhnte Gerry. „Ich hab die Leiche gesehen, du auch?“ „Nein.“
Er nippte an seinem Schnapsglas. „Ich aber. Wir haben ihn gefunden. Ich und Brett Hardiman.“
„Alec Hardimans Vater.“
Er nickte. „Mein Kollege.“ Er beugte sich vor und goss mir Wodka ins Schnapsglas. „Brett ist 1980 gestorben.“
Ich blickte das Glas an und schob es ein Stück weit von mir weg, während Gerry seines füllte.
Gerry sah es und lächelte. „Du bist nicht wie dein Vater, Patrick.“ „Danke für das Kompliment.“
Er kicherte leise. „Du siehst ihm aber ganz schön ähnlich. Wie aus dem Gesicht geschnitten. Das weißt du doch.“
Ich zuckte mit den Achseln.
Er drehte die Hände um und betrachtete einen Augenblick seine Handgelenke. „Blut ist was Komisches.“
„Wieso?“
„Es fließt in den Bauch der Mutter, und ein Mensch entsteht. Dieser Mensch kann mit einem Elternteil fast identisch sein, aber auch so

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