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Absender unbekannt

Absender unbekannt

Titel: Absender unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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anders, dass der Vater den Postboten verdächtigt, mehr als nur die Post zugestellt zu haben. In dir ist das Blut deines Vaters, in mir das Blut meines Vaters, und Alec Hardiman hatte das Blut seines Vaters in sich.“
„Und sein Vater war…“
„Ein guter Mann.“ Er nickte eher sich selbst als mir zu und nahm noch einen Schluck Schnaps. „Ein wirklich netter Mann. Aufrichtig. Anständig. Und so gescheit. Wenn man es nicht wusste, kam man nicht auf die Idee, dass er ein Bulle war. Man hätte ihn für einen Pfarrer oder einen Banker halten können. Er kleidete sich tadellos, drückte sich tadellos aus, tat alles… tadellos. Er hatte ein schlichtes weißes Haus im Kolonialstil in Melrose, eine süße, liebe Frau und einen hübschen blonden Sohn, und alles war so sauber, dass man mit Sicherheit von seinem Autositz essen konnte.“
Ich nippte an meinem Bier. Jetzt war auch der zweite Fernseher zur guten alten Fahne übergegangen, gefolgt von einer blauen Mattscheibe. Ich bemerkte, dass die Chieftains in der Jukebox jetzt „Coast of Malabar“ sangen.
„Er war perfekt und hatte ein perfektes Leben. Perfekte Frau, perfektes Auto, perfektes Haus, perfekter Sohn.“ Er schielte auf seinen Daumennagel. Dann blickte er mich an, doch lag in seinen Augen ein verstörter Blick, als versuchte er gerade, sich wieder zurechtzufinden, nachdem er zu lange in die Sonne gesehen hatte. „Und dann ist, keine Ahnung, irgendwas ist in Alec gefahren. Einfach… in ihn gefahren. Kein Psychologe konnte das je erklären. Den einen Tag war er noch ganz normal, völlig unauffällig, und am nächsten…“ Er hob die Hände. „Am nächsten Tag, keine Ahnung.“ „Und er hat Cal Morrison umgebracht?“
„Das wissen wir nicht“, antwortete er mit belegter
Stimme. Aus irgendeinem Grund konnte er mich nicht ansehen. Sein Gesicht war gerötet, die Adern am Hals waren dick geschwollen, er sah auf den Boden und schlug mit dem Absatz gegen die Wand des Kühlschranks. „Das wissen wir nicht“, wiederholte er. „Gerry“, sprach ich ihn an, „warte mal kurz! Soweit ich weiß, wurde Cal Morrison von irgendeinem Herumtreiber auf dem Blake Yard erstochen.“
„Von einem Schwarzen“, sagte er, ein Lächeln huschte um seine Lippen. „Das wurde damals erzählt, oder?“
Ich nickte.
„Wenn man den Schuldigen nicht findet, ist es ein Bimbo gewesen. Stimmt’s?“
Ich zuckte mit den Achseln. „So hieß es damals.“
„Tja, er wurde aber nicht erstochen. Das haben wir bloß der Presse erzählt. Er wurde gekreuzigt. Und es hat auch kein Schwarzer getan. Wir fanden rote, blonde und braune Haare an Cal Morrisons Kleidung, aber keine schwarzen. Und Alec Hardiman war mit einem Freund, Charles Rugglestone, vorher an jenem Abend in der Gegend gesehen worden, und wir waren schon ganz nervös wegen der anderen Morde, also war es uns ganz recht, dass zuerst einmal die Geschichte mit dem Neger die Runde machte, bis wir jemanden in die Finger bekamen.“ Er zuckte mit den Achseln. „Damals verliefen sich nicht gerade viele Schwarze in diese Gegend, schien uns deshalb eine ganz gute Geschichte zur Ablenkung zu sein.“ „Gerry“, fragte ich, „was für andere Morde?“
Die Tür der Kneipe ging auf, das schwere Holz schlug gegen die Ziegelsteine der Außenwand, und vor uns stand ein Mann mit stoppeligem Haar, einem Nasenring und einem zerrissenen T-Shirt, das über einer modisch verschlissenen Jeans hing.
„Geschlossen“, sagte Gerry.
„Nur ‘nen kleinen Schnaps, damit ich mich in so ‘ner einsamen Nacht aufwärmen kann“, bettelte der Typ mit furchtbar falschem Akzent.
Gerry glitt vom Kühlschrank herunter und kam hinter der Theke hervor. „Weißt du überhaupt, wo du bist, Junge?“
Unter meiner Hand spannte Patton die Muskeln an, hob den Kopf und sah den jungen Mann an.
Der trat einen Schritt vor. „Nur ‘nen kleinen Whiskey.“ Er kicherte und blinzelte gegen das Licht. Sein Gesicht war aufgedunsen vom Alkohol und wer weiß was sonst noch.
„Zum Kenmore Square geht’s da lang.“ Gerry zeigte in Richtung Ausgang.
„Will nicht zum Kenmore Square“, erwiderte der Typ. Er schwankte leicht, während er am Hosenbund nach seinen Zigaretten fummelte. „Junge“, mahnte Gerry, „wird Zeit, dass du nach Hause gehst.“ Gerry legte ihm den Arm um die Schulter. Einen Augenblick sah es so aus, als wolle der Betrunkene ihn abschütteln, doch dann warf er einen Blick auf mich, auf Patton und auf Gerry. Gerry verhielt sich freundlich und nett, auch

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