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Absender unbekannt

Absender unbekannt

Titel: Absender unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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sich melden, Mr. Kenzie?“
Ich warf Angie einen Blick zu. Sie sah Diandra aufmerksam an. Einen Moment lang schloss Diandra die Augen. Als sie sie wieder öffnete, fragte sie: „Hat einer von Ihnen Kinder?“
Angie schüttelte den Kopf.
Ich dachte kurz an Mae und verneinte ebenfalls.
„Habe ich auch nicht angenommen.“ Diandra erhob sich, legte die Hände auf den Rücken und ging zum Fenster. Während sie dort stand, gingen nacheinander die Lichter in einer Wohnung im Haus nebenan aus, und große dunkle Flecken erschienen auf dem hellen Holzboden.
„Man hört nie auf, sich Sorgen zu machen. Nie. Man denkt an das erste Mal, als er aus dem Kinderbett kletterte und auf den Boden fiel, weil man nicht schnell genug da war. Und wie man dachte, er sei tot. Nur einen Augenblick lang. Und man erinnert sich daran, wie schrecklich diese Vorstellung war. Wenn er älter wird und Fahrrad fährt und auf Bäume klettert und alleine zur Schule geht und ohne Vorwarnung auf die Strasse läuft, anstatt an der Ampel auf Grün zu warten, dann tut man so, als wäre es in Ordnung. Man sagt: So sind Kinder halt. Hab ich damals auch so gemacht. Aber es liegt einem immer dieser Schrei ganz hinten im Hals, er ist kaum zu unterdrücken. Nicht! Stopp! Tu dir bitte nicht weh.“ Sie drehte sich um und sah uns aus dem Dunkel heraus an. „Es hört nie auf. Die Sorgen. Die Angst. Keine Sekunde lang. Das ist der Preis dafür, Leben in die Welt zu setzen.“
Ich sah vor mir, wie sich Maes Hand der Schnauze des Hundes genähert hatte. Ich war sprungbereit, bereit, diesem Scotch Terrier notfalls den Kopf abzureißen.
Das Telefon klingelte. Viertel nach neun. Alle drei zuckten wir gleichzeitig zusammen, mit vier großen Schritten war Diandra am Hörer. Angie sah mich an und verdrehte erleichtert die Augen. Diandra nahm ab. „Jason?“ rief sie, „Jason?“
Es war nicht Jason. Das war sofort zu erkennen, als sie sich mit der freien Hand an die Schläfe fasste und fest gegen den Haaransatz drückte. „Was?“ fragte sie. Dann
wandte sie den Kopf und blickte mich an. „Einen Moment.“ Sie reichte mir das Telefon. „Ein Oscar möchte Sie sprechen.“ Ich nahm den Apparat entgegen und drehte Angie und ihr den Rücken zu. Erneut gingen im Gebäude nebenan einige Lichter aus, so dass sich die Dunkelheit wie eine schwarze Flüssigkeit weiter auf dem Boden ausbreitete, während Oscar mir erzählte, dass Jason Warren gefunden worden war.
In Stücke gehackt.

19
    In einem verlassenen Lkw-Depot im Hafengebiet von South Boston hatte der Mörder Jason Warren einmal in den Bauch gestochen, mehrmals mit einem Eispickel durchbohrt und mit einem Hammer malträtiert. Außerdem hatte er seine Gliedmassen amputiert und sie auf die Fensterbänke gelegt. Den Torso hatte er mit Gesicht zur Tür auf einen Stuhl gesetzt, der Kopf war an ein loses Stromkabel gebunden, das von einem Förderband herunterhing.
Eine Mannschaft der Spurensicherung verbrachte die Nacht und den nächsten Morgen in dem Gebäude, doch wurden Jasons Kniescheiben nie gefunden.
Die ersten beiden Bullen am Tatort waren Grünschnäbel. Der eine kündigte innerhalb einer Woche, der andere, sagte mir Devin, nahm Urlaub für eine psychologische Behandlung. Devin erzählte mir, dass er zuerst gedacht habe, Jason hätte ein Stelldichein mit einem Löwen gehabt, als er mit Oscar das Lkw-Depot betrat.
Als mir Oscar in jener Nacht Bescheid gesagt hatte und ich auflegte und mich zu den beiden Frauen umdrehte, wusste es Diandra bereits.
„Mein Sohn ist tot, nicht wahr?“ stellte sie fest.
Und ich nickte.
Sie schloss die Augen und legte eine Hand aufs Ohr. Sie schwankte leicht, wie bei einem Windstoss. Angie stellte sich neben sie.
„Fassen Sie mich nicht an!“ drohte sie mit geschlossenen Augen. Als Eric kam, saß Diandra auf ihrem Platz am Fenster und starrte nach draußen auf den Hafen. Der von Angie gebrühte Kaffee stand neben ihr, sie hatte ihn nicht angerührt. Seit einer Stunde hatte sie kein einziges Wort gesagt.
Als Eric den Raum betrat, beobachtete sie ihn. Er legte Regenmantel und Hut ab, hängte beide an den Haken und sah uns fragend an. Wir gingen in die Küchenecke, wo ich ihm alles erzählte. „O Gott!“ stöhnte er und sah einen Moment lang aus, als müsse er sich übergeben. Sein Gesicht nahm eine graue Farbe an, mit den Händen hielt er sich an der Theke fest, bis die Fingerknöchel weiß wurden. „Ermordet. Wie?“
Ich schüttelte den Kopf. „Ermordet. Das reicht im Moment. „ Er

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