Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Absender unbekannt

Absender unbekannt

Titel: Absender unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
Vom Netzwerk:
bemerkte ich.
„Als ich ihn bei seiner Freundin auf treibe, ist er gerade auf dem Sprung nach Paraguay oder wer weiß wohin.“ Kevin schnippte seine Zigarette in die Büsche vor meinem Haus. „Er musste sich auf den Bauch legen, Kenzie, und dann bin ich auf seinem Rücken rumgesprungen, bis die Wirbelsäule gebrochen ist. Hat sich genau so angehört, wie wenn man eine Tür eintritt. Genau so. Gibt so ein großes, lautes Krachen und ganz viel Splittergeräusche gleichzeitig.“
Wieder fegte die scharfe Brise durch die Strasse, die trockenen Blätter im Rinnstein raschelten.
„Egal“, fuhr Kevin fort, „dieser Typ war am Schreien, das Weib war am Schreien, und beide guckten ständig auf die Tür von der beschissenen kleinen Wohnung, aber nicht weil sie dachten, sie kämen raus, sondern weil sie wussten, dass die Tür abgeschlossen war. Sie waren eingesperrt. Mit mir. Ich hatte die Macht. Ich konnte bestimmen, was sie als Erinnerung mit in die Hölle nehmen.“ Er zündete sich eine neue Zigarette an, und ich spürte den kalten Wind mitten in meiner Brust.
„Tja“, erzählte er weiter, „dann habe ich den Typ umgedreht. Hab ihn mit seinem kaputten Rückgrat hingesetzt und das Weib, keine Ahnung, ‘n paar Stunden lang vergewaltigt. Musste ihm immer wieder Whiskey ins Gesicht schütten, damit er wach bleibt. Dann hab ich acht-, vielleicht neunmal auf sie geschossen. Hab mir einen Drink gemacht und den Typ ‘ne Zeitlang angeguckt. Es war nichts mehr da. Hoffnung. Stolz. Liebe. Alles gehörte mir. Mir. Mir gehörte alles. Und das wusste er. Ich hab mich hinter ihn gestellt. Hab ihm die Knarre hinten an den Kopf gehalten, da wo das Gehirn aufhört. Und schätz mal, was ich gemacht habe?“
Ich sagte nichts.
„Hab gewartet. So ungefähr fünf Minuten. Und rat mal! Rat mal, was der Typ gemacht hat, Kenzie! Rat mal!“
Ich faltete die Hände im Schoss.
„Der Typ fängt an zu betteln, Kenzie! Der Scheißkerl ist gelähmt. Er hat gerade zugeguckt, wie ein anderer seine Frau vergewaltigt und umbringt, und konnte nichts dagegen machen. Er hat keinen Grund mehr zu leben. Nichts. Aber trotzdem fleht er mich an, ihn leben zu lassen. Die Welt ist total verrückt, sag ich dir!“
Er warf die Zigarette auf die Stufen unter mir. Die Asche wurde verstreut und vom Wind fortgetragen.
„Als er anfing zu betteln, hab ich ihm in den Kopf geschossen.“ Wenn ich früher Kevin ansah, hatte ich nichts erkannt, nur ein großes Loch. Aber jetzt merkte ich, dass es keine Leere war, sondern das Gegenteil. Alles Widerliche dieser Welt. Hakenkreuze, Schlachtfelder, Arbeitslager, Ungeziefer und Feuer, das vom Himmel fiel. Kevins leerer Blick
schien nichts anderes zu bedeuten, als dass er zu allem fähig war. „Halt dich aus der Sache mit Jason Warren raus!“ mahnte er. „Hier, der Typ, der Jackie abgezockt hat und seine Freundin. Das waren Freunde von mir. Aber dich“, fügte er hinzu, „hab ich nie das kleinste bisschen gemocht.“
Noch eine weitere Minute stand er da und sah mir in die Augen. Ich fühlte Hass und Ekel in mir aufsteigen.
Dann ging er zur Fahrerseite des Autos und legte die Hände auf die Motorhaube.
„Hab gehört, du bist losgezogen und hast dir eine kleine Familie besorgt, Kenzie. So ‘ne Scheißärztin mit ‘ner kleinen Scheißtochter. Die Tochter soll so um die vier Jahre alt sein.“
Ich dachte an Mae, die zwei Stockwerke über mir schlief. „Was glaubst du, Kenzie, wie stark ist der Rücken von einer Vierjährigen?“
„Kevin“, sagte ich und meine Stimme klang schwer und phlegmatisch, „wenn du…“
Er schien mich völlig zu ignorieren und öffnete die Tun
„Hey, Arschloch!“ rief ich, rauh hallte meine Stimme über die leere Strasse. „Ich rede mit dir.“
Er sah mich an.
„Kevin“, begann ich erneut, „wenn du auch nur in die Nähe von dieser Frau oder diesem Kind kommst, dann jag ich dir so viele Kugeln in den Kopf, dass er wie eine Bowlingkugel aussieht.“ „Bla bla bla“, erwiderte er, „nichts als Gelaber, Kenzie. Bis die Tage!“
Ich zog meine Pistole hinterm Rücken hervor und feuerte eine Salve in sein Beifahrerfenster.
Kevin sprang zurück, als die Glassplitter auf seinen Sitz regneten, dann sah er mich an.
„Eine kleine Anzahlung, Kevin. Damit kannst du zu deiner Scheißbank gehen.“
Einen Augenblick lang dachte ich, er würde sich wehren. Auf der Stelle. Tat er aber nicht. Er sagte: „Du hast dir gerade dein eigenes Grab geschaufelt, Kenzie. Das weißt du.“
Ich nickte.
Er

Weitere Kostenlose Bücher