Absolute Power (Der Präsident)
jedem Teilhaber im Raum die Hand, einigen sogar mehrmals. Gegen neun Uhr brachte Jennifers Firmenlimousine sie und Jack nach Hause. Gegen ein Uhr hatten sie sich bereits zweimal geliebt. Gegen ein Uhr dreißig schlief Jennifer tief und fest.
Jack nicht.
Er stand am Fenster und starrte hinaus auf die vereinzelten Schneeflocken, die vom Himmel schwebten. Ein frühes WinterSturmtief hing über dem Gebiet, obwohl den Voraussagen nach keine heftigen Niederschläge zu erwarten waren. Jacks Gedanken jedoch kreisten nicht um das unfreundliche Wetter.
Er schaute zu Jennifer hinüber. Sie trug ein seidenes Nachthemd, lag eingekuschelt in Satinlaken, in einem Bett, das der Größe von Jacks Schlafzimmer entsprach. Sein Blick wanderte hinauf zu seinen alten Freunden, den Deckenmalereien. Ihr neues Heim sollte zu Weihnachten fertig sein, obwohl die sittsame Familie Baldwin kein offizielles Zusammenleben der beiden erlauben würde, bevor nicht die Ringe getauscht waren. Die Innenausstattung wurde unter dem gestrengen Auge seiner Verlobten renoviert; einerseits, um ihren und Jacks individuellen Geschmack einzubringen, andererseits, um dem Haus eine persönliche Note zu verleihen, was immer das auch bedeuten mochte. Als er die mittelalterlichen Gesichter an der Decke musterte, hatte Jack den Eindruck, sie lachten ihn aus.
Soeben war er Teilhaber der renommiertesten Kanzlei in der Stadt geworden; er war der Liebling der einflußreichsten Leute, die man sich vorstellen konnte und von denen jeder bestrebt war, seinen ohnehin schon kometenhaften Aufstieg noch weiter voranzutreiben. Er hatte alles. Angefangen bei der wunderschönen Prinzessin über den reichen, alten Schwiegervater und den abgebrühten, zugleich entsetzlich rücksichtslosen Mentor bis hin zu einem Haufen Geld auf der Bank. Hinter ihm stand eine Armee mächtiger Gönner, vor ihm lag eine wahrhaft grenzenlose Zukunft, doch Jack hatte sich nie einsamer gefühlt als in dieser Nacht. Und trotz aller Bemühungen kehrten seine Gedanken ständig zurück zu einem alten, verängstigten und zornigen Mann und dessen emotional ausgezehrter Tochter. Die beiden Gestalten geisterten durch seinen Kopf, während er schweigend dem sanften Fall der Schneeflocken zusah, bis ihn die ersten Strahlen der Sonne wissen ließen, daß ein neuer Morgen anbrach.
Die alte Frau beobachtete durch die verstaubten Jalousien vor dem Wohnzimmerfenster, wie die dunkle Limousine in ihre Auffahrt einbog. Die Arthritis in den dick angeschwollenen Knien bereitete ihr unsägliche Schmerzen beim Aufstehen, erst recht, wenn sie versuchte, umherzugehen. Ihr Rücken war dauerhaft gekrümmt, und die Lungen waren nach fünfzig Jahren Mißhandlung durch Teer und Nikotin gnadenlos kurzatmig.
Ihr Leben neigte sich dem Ende zu; bald hatte der Körper so lange ausgehalten, wie er konnte. Länger als der ihrer Tochter.
Sie betastete den Brief in der Tasche ihres alten rosa Hauskleides, das die roten, blasenübersäten Knöchel nicht ganz bedeckte. Früher oder später hatte die Polizei ja auftauchen müssen. Nachdem Wanda vom Polizeirevier zurückgekommen war, hatte sie gewußt, daß es nur noch eine Frage der Zeit war, bis etwas dergleichen geschehen würde. Tränen traten in ihre Augen, als sie an die letzten Wochen dachte.
»Es war meine Schuld, Momma.« Ihre Tochter hatte in der winzigen Küche gesessen. Als kleines Mädchen hatte sie ihrer Mutter dort oft dabei geholfen, Kuchen zu backen oder Tomaten und Stangenbohnen einzukochen, die sie aus dem kleinen Gartenstreifen hinter dem Haus geerntet hatten. Unaufhörlich hatte sie die Worte wiederholt, auf dem Tisch zusammengesunken, von einem krampfhaften Schluchzen geschüttelt. Edwina hatte versucht, mit ihrer Tochter zu reden; doch sie war nicht wortgewaltig genug, um die Mauer der Schuld um die schlanke Frau herum zu durchbrechen, deren Leben als pummeliges Baby mit dichtem, dunklem Haar und O-Beinchen begonnen hatte. Sie hatte Wanda den Brief gezeigt, doch auch das hatte nichts geholfen. Die alte Frau hatte ihr Kind einfach nicht zur Vernunft bringen können.
Nun war sie für immer gegangen, und die Polizei stand vor der Tür. Und nun mußte Edwina das Richtige tun. Edwina Broome war einundachtzig Jahre alt und eine gottesfürchtige Frau, doch sie würde die Polizei belügen; denn das war alles, was sie tun konnte.
»Es tut mir sehr leid wegen Ihrer Tochter, Mrs. Broome.« Franks Worte klangen aufrichtig in den Ohren der alten Frau. Eine einzelne Träne rollte
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