Absturz
Wie der Vater Ovids lässt sich ein Vater schließlich von den frühen Erfolgen des Sohnes beruhigen, sofern er wie der Vater Ovids die frühen Erfolge des Sohns noch miterleben kann, oder aber, im Gegensatz dazu, wie der Vater Schopenhauers nicht mehr miterleben muss, dass sich die frühen Erfolge des Sohnes nicht und nicht einstellen wollen. Wie der Vater Agassis will ein Vater in Wimbledon sein, wenn Agassi in Wimbledon ist. Der Sohn am Court, der Vater in der Loge. Darf man es einem Vater verargen, wenn er sich nach all den Plagen der Schluckimpfungen und Blutproben, der Taschengelderhöhungen, Elternsprechtagsdemütigungen und Faschismusdebatten als Vater eines sich unvermittelt als Theaterautor entpuppenden Sohnes anlässlich der Uraufführung des Dramas seines Sohnes sozusagen wie ein Gottvater freut: dass er das noch erleben darf , sofern er das noch erleben kann! Alles geht nieder: Der Pfarrkirchenrat, die mittelständische Wirtschaft und das Geschäft, ein Lebenswerk im Dienste der Kunden, kommt zu keinem Ergebnis. Aber der geliebte Sohn hat ein Theaterstück geschrieben, und zu aller Glück wird es auch aufgeführt! Ich aber habe gefragt: Warum sollen wir uns jetzt, wo wir seinen Siebziger und meinen Dreißiger hinter uns haben, noch ein so quälend langweiliges Stück antun, auch wenn es sich dabei zufällig um mein Stück handelt: ein Stück, dessen Autor sich nicht nur über sein Publikum lustig macht, sondern ein Stück, das sich infolge des schwierigen Charakters seines Autors vor seinem Publikum ekelt und sein Publikum diesen Ekel spüren lässt, indem es seinem Publikum alles und jedes verweigert, was andere Stücke ihrem Publikum bieten. Es ist ein Stück, das nicht dafür gemacht ist, dass der Vater des Dichters im Publikum sitzt, ein Stück, habe ich gefürchtet, das den im Publikum sitzenden armen, alten, herzkranken Vater des Dichters zwangsläufig umbringen muss. Wie es mir furchtbar dunkel eingeleuchtet hat, dass der Altbürgermeister, nachdem sein Sohn Nierenspezialist geworden ist, ausgerechnet an einem Nierenversagen gestorben ist, habe ich die düstere Vision gehabt, Papa könnte der Aufregung wegen der Premiere des Stückes seines Sohnes nicht gewachsen sein. Er könnte auch der lähmenden Langeweile des Stückes und dem Unmut des Publikums nicht gewachsen sein und vor lauter Qual und Schande mitten in der Aufführung mitten im Publikum plötzlich tot zusammenbrechen. Von dieser Angst getrieben, habe ich Mama und Papa mit allen möglichen fadenscheinigen Begründungen auszuladen versucht und ihnen als kleine Entschädigung die Videoaufzeichnung der Uraufführung angeboten. Aber meine Eltern wollten sich die Originaluraufführung auf gar keinen Fall entgehen lassen und sich meiner Langweiligkeitspeitsche auf jeden Fall aussetzen. Mama und Papa kamen mit dem Hinweis zur Premiere, dass sie auch alle nennenswerten Premieren des Stadttheaters der letzten Jahre gesehen hätten. Sie hätten sowohl den Besuch der alten Dame gesehen, Emilia Galotti , Der Verschwender , Die Räuber , Nathan der Weise , sogar den Guten Menschen von Sezuan und einen Haufen Heinrich . Und sie hätten alles überlebt. Die Mutter ist durchaus aufdieschenkelschlagelustig zur Premiere gekommen, und sie hat bei der Szene, in der der Teufel und der liebe Gott ein Tischgebet sprechen, am lautesten gelacht. Aber je länger das Stück dauerte, desto öfter sind auch ihr die Schenkel im Hals stecken geblieben, also das Lachen im Oberschenkelhals. Der Vater ist beim Besuch der alten Dame , bei Emilia Galotti , beim Verschwender , bei den Räubern , bei Nathan der Weise und beim Guten Menschen von Sezuan stets ohne Unterschied eingeschlafen. Vom frühen Erfolg des Sohnes beruhigt, ist der Vater auch bei meinem Stück aller Aufregung zum Trotz mitten im Publikum eingeschlafen. Der Vater hat mich beruhigt der Weltliteratur zugeordnet, ohne Unterschied wie einen Klassiker behandelt und daher leise zu schnarchen begonnen, sodass ihn der Ellbogen der Mutter wie schon beim Besuch der alten Dame , bei Emilia Galotti et cetera immer wieder in die Hüfte gestoßen und aufgeweckt hat.
Meine Papa betreffende Todesangst wuchs. Die Luft im Kellertheater war während der Premiere meines Stückes derartig trocken, heiß, stickig, vom oftmaligen Hin-und-her-ein-und-ausgeatmet-Werden derart verbraucht, dass ich diese Publikumsgebrauchtluft kaum einatmen konnte und mir ständig die Schweißperlen vom
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