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Absturz

Absturz

Titel: Absturz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gstaettner
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meinem Hochsitz aus auf den Hinterkopf des Vaters aufpassen. Ich musste in dem Moment, in dem der Hinterkopf den Geist aufgibt, durch das Publikum hinterrücks sofort auf den Hinterkopf des Vaters zustürzen und ihn in meinen Arm betten und Papa um Verzeihung bitten. Niemand hat den fallenden Vorhang zweieinhalb Stunden lang so sehr herbeigesehnt wie ich. Niemanden hat der Vorhang so sehr erleichtert wie mich.
    Nachdem es vollbracht war und die Schauspieler sich verbeugt hatten und zweimal abgegangen und wieder auf die Bühne gekommen waren, zogen der Regisseur und der Darsteller des Adam auch mich auf die Bühne, um den Applaus des Publikums in Empfang zu nehmen. Darauf hatte ich ganz vergessen gehabt. Ich war vom Drama im Drama völlig erschöpft, und ich war auch nicht darauf vorbereitet, nach den zweieinhalb Stunden Hinterkopf ins Rampenlicht der Bühne geschoben plötzlich den Vorderkopf des Vaters präsentiert zu bekommen, sein Gesicht. Auch jetzt wieder sah ich vom ganzen Publikum nur den Vater, sonst nichts und niemanden. Niemals habe ich eine Verbeugung vor anderen Menschen geübt, probiert und einstudiert. Deshalb konnte ich mich auch nicht verbeugen, sondern bin nach einem kurzen Nicken wie zur Begrüßung ganz einfach wie versteinert dagestanden, die Hände wie ein Gymnasialprofessor bei der Gangaufsicht hinter dem Rücken verschränkt, den Blick starr geradeaus zum Tonmeister gerichtet. Der Applaus war, wie man sagt,  wohlwollend , aber doch nicht so ohrenbetäubend, dass sich der Vater davon hätte wecken lassen. Mutters Ellbogen konnte erst, nachdem sie kräftig fertig applaudiert hatte, in Aktion treten. Am nächsten Tag sagte mir Papa, mein Stück habe ihm  sehr gut  gefallen, am besten der Erzengel, ein hübsches Mädchen, eine gute und gut ausgezogene Figur. In diesem Moment war mir schlagartig klar, dass das Theater für mich gestorben ist. Ein sich gegen das Theater durchsetzendes Theaterpublikum ist der Tod des Theaters.
    Bevor ich mich den Sommer über in meine Mansarde zurückziehen und in die Badewanne verkriechen konnte, musste ich noch meinen Plan verwirklichen, in die Landhausbuchhandlung zu gehen und beim Fräulein Moser die beiden vor längerer Zeit zurückgelegten Karten für die  Blaue Maus  im Rahmen der Pischeldorfer Sommerkulturtage zugunsten der Kriegsopfer vom Balkan zu kaufen, ohne das Fräulein Moser meine Absicht wissen zu lassen, mich um den Besuch der  Blauen Maus  zu drücken und die Eintrittskarten verfallen zu lassen, und mit dieser Finte meine Geschichte zu beenden. Als ich nun in die Buchhandlung kam, zum Kassatisch trat und um die beiden Karten bat, errötete das Fräulein Moser und sagte mir, es seien leider bereits sämtliche Vorstellungen ausverkauft.
    Betrachte deine Debakel als Investition, junger Mann! Wichtig ist bloß, dass du bei der Wahl zwischen den guten und den schlechten Debakeln immer die guten Debakel nimmst! Der große Sechsteiler um 20.15, tja also, junger Mann, daraus ist leider nichts geworden. Die Größten der Großen aus deiner Branche bekommen heute keine Sechsteiler um 20.15 mehr. Nicht einmal Einteiler, gar nichts. Schiffeversenkende, mannschaftsmordende Zuckerbäcker, Briefbombenexistenzen, Befreiungsarmeefantasten oder lyrikdichtende Prostituiertenserienmörder, summa summarum tobende Ichs werden noch verfilmt und breitgewalzt, korrupte Rechtsextremisten wenigstens dokumentiert und diskutiert. Aber du und deinesgleichen? Fehlanzeige. Also zuerst ein Milliardendesaster in Kombination mit einem Kapitalverbrechen, möglichst auf Kosten des Volksvermögens, und dann ein superspektakulärer Unfalltod: Das wäre deine letzte Chance! Bis es so weit ist, obliegt das Tellerwaschen jetzt doch dem Geschirrspülautomaten: Es muss ja einen Fortschritt geben. Die Wiener Prinz-Eugen-Straße heißt noch immer nicht Glawutschnig-Straße, sondern immer noch Prinz-Eugen-Straße.
    Was aus den hundert Schilling aus unserem Haushaltstopf am Balkan konkret geworden ist, kann ich leider nicht sagen. Jedenfalls hat der Balkankrieg hinter der Grenze trotz unserer hundert Schilling und trotz der  Blauen Maus  von Hugo Wiener noch ein paar Jahre mit unverminderter Heftigkeit und Brutalität weitergetobt. Noch ein paar Sommer lang haben die Bomber der Alliierten und der Amerikaner die europäischen Urlaubsbadegäste auf ihrem Luftweg nach Belgrad am Strand von Jesolo gestört – man möchte gar nicht glauben, welch ohrenbetäubenden Lärm solche

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