Absturz
Unterricht, den sie in ihrer Jugend empfangen haben; wir aber müssen alle fünf Jahre umlernen, wenn wir nicht ganz aus der Mode kommen wollen. Zusatzqualifikation heißt heute das Zauberwort, Flexibilität, Weitwinkelpanorama. Eddie hat beschlossen, die Religionslehrerausbildung nachzuholen. Theologisches Fernstudium mit ein paar Blockseminaren wochenweise irgendwo in der Einschicht: ein bisschen Ethik, Religionsphilosophie, Moraltheologie, Fundamentaltheologie, Liturgie, Kirchengeschichte, basta. Aber dazu muss man zumindest gläubig und katholisch sein, sagt Emma.
Na sicher, sagt Eddie, aber das ist ja keine Kunst. Positiv denken! Modern denken! Gott ist ein positiver und moderner Gedanke. Gott ist eine günstige Kapitalanlage, sagt Eddie, Atheismus hingegen eine Armeleuteunterhaltung, ein Schneiden ins eigene Fleisch. Nicht an Gott zu glauben kann man sich gar nicht mehr leisten, seit der Sozialismus bankrottgegangen ist. Gerade heute, wo Geistesarbeitsplätze rar werden, bietet die Kirche immer wieder Beschäftigungsmöglichkeiten, auch wenn die Kirche als Unternehmerin das Prinzip der Ausbeutung noch recht geschickt beherrscht. Jedenfalls blöd, wer sich die Bibel nicht als Parteibuch hält; blöd, wer sich vor lauter starrsinnig-aufrechtem Existenzialismus im Sondernotstand suhlt.
Eddie!, stöhnt Emma und schüttelt den Kopf.
Ja, was denn?, antwortet Eddie und grinst. Nichts leichter, als dem Klerus gegenüber den Glauben und die Existenz Gottes zu beweisen auf Anfrage beim Vorstellungsgespräch. Die Schöpfung! Die Schöpfung! Es muss doch einen geben, der das alles geschaffen hat! Von nichts kommt nichts! Energiesatz, Energiequant, unbewegter Beweger, super, hops, da haben wir ihn schon, perpetuum mobile, Kruzifix noch einmal. Das kann jeder, sagt Eddie. Mein Gott, sagt er, meine Seele verkaufe ich ja nicht. Und wenn einem nichts Besseres einfällt, sagt man einfach: Gott ist das Gute. Damit kommt man heute schon durch. Ich lerne Päpste auswendig wie andere Schlachten oder Pilzsorten. Ich bin ein Prostituierter.
Eddie!, entrüstet sich Emma, wenn auch nicht besonders.
Ja, was denn, Emma?, gibt Eddie zurück.
Bier Nummer sieben kommt an die Reihe. Und man kann mitunter auch persönlich profitieren. Bei der Vorbesprechung für den ersten Wochenblock hat er einen Beamten der Bezirksagrarbehörde aus Altmünster kennengelernt, erzählt Eddie, der in seiner Freizeit zur höheren Ehre Gottes und in der Nachfolge Jesu modern denkend als Laie Firmunterricht erteilt. Um seinen Firmunterricht didaktisch zu perfektionieren und theoretisch zu untermauern, lässt er seine Frau in seiner Freizeit oft in Altmünster zurück und fährt zu solchen theologischen Kursen. Jedes Mal nimmt er eine ganze Familienpackung Präservative mit, ohne Rücksprache mit dem Heiligen Vater. Und jedes Mal kommt er ganz ohne die Präservative nach Hause zu seiner Familie zurück, sagt Eddie. Manch eine angehende Religionslehrerin hat er zwischen den Vorlesungen zu Dogmatik und Katechetik, wenn schon nicht glücklich gemacht, so doch beglückt.
Du bist verrückt, sagt Emma.
Na sicher, selbstverständlich!, gibt Eddie zurück. Bildnerische Erziehung ist überlaufen. Handarbeiten Knaben ist überlaufen. Also Vater unser, der Du bist im Himmel und Großer Gott, wir loben Dich. Modern denken. Lustig ist das Firmlehrerleben, und was der kann, kann ich auch, amen, off und over. Religionslehrer sind die einzigen Lehrer, die noch gebraucht werden. Über Religion kommt man ins Gymnasium, nach und nach ein paar Philosophiestunden dazu, ein paar Deutschstunden, und wenn man die Religion nicht mehr braucht, stößt man sie ab.
Einkunftsquellen lassen sich immer und überall erschließen, sagt Eddie. Man darf sich nur nicht zieren. Er selbst schreibt zum Beispiel Seminararbeiten, Diplomarbeiten und manchmal gar Dissertationen auf Bestellung für Leute, die sich mit ihrem Studium nicht unnötig beschäftigen, trotzdem aber unbedingt einen Titel haben und Akademiker und anschließend arbeitslos sein wollen. Oder für Politiker. Mein eigenes Studium habe ich noch gratis absolviert, sagt Eddie beim achten Bier. Seither habe ich als Ghostwriter mindestens drei weitere komplette Studien von den Grundkursen und Einführungsseminaren bis zur Promotion gemacht und verkauft. Aber was soll ich mit vier Titeln anfangen, wo schon der eine nutzlos ist, abgesehen davon, dass es hier viel weniger Akademiker gäbe, wenn es mich nicht gäbe!
Ein Kaufmann,
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