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Absturz

Absturz

Titel: Absturz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gstaettner
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Dekadenz und anthropofugale Konstante sind kein Befreiungsgrund. Rechtsmittelbelehrung: Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig. Huch, wie das klingt! Wie in einem Unrechtsregime! Da muss man doch …
    Also tritt die Republik – sie nennt sich jetzt Zivildienstkommission – zusammen und veranstaltet die nicht öffentliche  Gewissenscastingshow Austrias next Top-Jägerstätter . Ich klappe eins, zwei, drei, vier, fünf Bescheide um, ziehe aus deinem Republikskarton Beweisstück Nummer sechs und übergebe es Frau Großholtz:
    6.
    Die Republik. Zivildienstkommission beim Bundesministerium für Inneres
    Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht: Abweisung
    Bescheid
    Die Zivildienstkommission beim Bundesministerium für Inneres, Senat 1, hat erkannt: Ihr Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht wird gemäß blablabla in Verbindung mit blablabla abgewiesen.
    Begründung: Sie brachten beim Militärkommando einen Antrag auf Befreiung von der Wehrpflicht ein und führten darin aus, wenn Sie an Gewalt denken, ekle es Sie. Wenn Sie sich vorstellen, dass Sie selbst eine Waffe in die Hand nehmen, würde Ihnen übel. Sie könnten es daher nicht über sich bringen, eine Waffe in die Hand zu nehmen und damit auf andere Menschen zu zielen. Im Falle der endgültigen Abweisung Ihres Antrags würden Sie den Wehrdienst verweigern und das Gefängnis in Kauf nehmen.
    Ihr Antrag ist nicht begründet.
    Bei kritischer Betrachtung Ihres Vorbringens tritt zu Tage, dass Sie zwar zu erkennen gegeben haben, gegen die Anwendung von Gewalt, insbesondere von Waffengewalt gegen Menschen zu sein. Sie sind aber eine tiefere Begründung hiefür schuldig geblieben. Eine eingehende Beschäftigung mit der vorliegenden Problematik ist jedoch wesentliche Voraussetzung einer gefestigten Überzeugung in diesen Belangen. Eine gefestigte Überzeugung wiederum ist nach Ansicht der Zivildienstkommission unabdingbare Grundlage schwerer Gewissensnot im Falle der Einberufung zum Militärdienst. Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.
    Der Vorsitzende.
    Wer weiß, liebe Frau Großholtz, vielleicht wäre das das letzte Wort geblieben und der junge Mann ins Gefängnis gegangen, wäre er nicht vorher noch in die Badewanne gegangen und hätte in der Badewanne in der Zeitung gelesen und ein Bild eines der Mitglieder der Zivildienstkommission gesehen, der dort als Vertreter der Wirtschaft gesessen war, als Wirtschaftskammerangestellter. Natürlich könnte man die Frage stellen, liebe Frau Großholtz, was die heimische Wirtschaft das Gewissen des jungen Mannes angeht und wie sie es beurteilen will. Aber die Frage stellte sich gar nicht. Denn unter dem bärtigen Gesicht stand nichts von der Wirtschaftskammer, sondern etwas von der Offiziersgesellschaft! Da schau her! Der Mann hatte noch einen Nebenjob! Da hat die Republik wieder einmal einen Pyromanen zum Feuerwehrhauptmann gemacht!, dachte der junge Mann, hüpfte aus der Badewanne und stand eine Stunde später mit dem Zeitungsartikel in der Hand auf der Matte des Rechtsanwalts.
    Drei Monate später lag bei der Post Beweismittel Nummer sieben.
    7.
    Die Republik. Zivildienstoberkommission beim Bundesministerium für Inneres
    Berufung: Stattgebung
    Bescheid
    Der Senat 2 der Zivildienstoberkommission hat durch blablabla in der nicht öffentlichen Verhandlung erkannt: Der Berufung gegen den Bescheid der Zivildienstkommission wird gemäß blablabla Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben und in der Sache selbst erkannt: Jan Philipp Möller wird von der Wehrpflicht befreit und ist daher zivildienstpflichtig. Da die Berufungsbehörde aufgrund des wiederholten Ermittlungsverfahrens zu eigenen Feststellungen gelangt ist, erübrigt es sich, näher auf die Begründung des erstinstanzlichen Bescheids einzugehen.
    Die Berufung ist begründet.
    Dem Vorbringen des Berufungswerbers sind auf einer pazifistischen Grundeinstellung, verbunden mit praktischen Lebenserfahrungen und einer schriftstellerischen Tätigkeit mit einschlägigen Schwerpunkten basierende Gewissensgründe im Sinne des Gesetzes zu entnehmen. Dem Prinzip der Gewaltlosigkeit scheint er verhaftet und dies auch zu seiner Lebensmaxime gemacht zu haben. Die Glaubwürdigkeit ist durch den in der Berufungsverhandlung unmittelbar gewonnenen persönlichen Eindruck, durch die belegte und anerkannte schriftstellerische Tätigkeit gegeben.
    Der erkennende Senat gelangte somit zur Ansicht, dass der Berufungswerber über eine gefestigte

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