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Absturz

Absturz

Titel: Absturz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gstaettner
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dessen Kosten repariert werden muss. Mit einem Fremden fällt ein korrektes Verhältnis leichter. Und sind diese Eltern nicht ein wenig zu bestimmend und unfehlbar, um als Erwachsener noch mit ihnen unter einem Dach zu leben, wenn auch in getrennten Wohnungen?
    Du solltest immer bedenken, dass in deinem Elternhaus, das eines Tages dein Haus sein wird, schon deine Großmutter ihr ganzes Leben zugebracht hat, dein Urgroßvater, dein Ururgroßvater und so immer weiter zurück bis in die Jungsteinzeit und bis zum ersten Menschen. Der erste Mensch und der letzte Mensch sollten im selben Haus leben, in diesem Heim für vom Himmel Gefallene. Du solltest immer bedenken, dass dieses Haus, das eines Tages, wenn du selber alt bist, dein Haus sein wird, nicht irgendein Haus ist. In diesem Haus entstand das Gilgameschepos. In diesem Haus wurde das Penicillin erfunden. In diesem Haus inszenierte Max Reinhardt. In diesem Haus wurde ein Attentat auf Adolf Hitler verübt. In diesem Haus komponierte Mozart  Don Giovanni . In diesem Hause gehen gerade die Buddenbrooks zugrunde. In diesem Haus betrat der erste Mensch den Mond. Dieses Haus ist zu allem fähig! In diesem Hause brachte Romeo Julia zum Orgasmus. In diesem Hause befahl der Herr den letzten Früchten, voll zu sein. In diesem Hause frisst Mutter Courage ihre Kinder. In diesem Hause warf ich dereinst nach einer Auseinandersetzung mit der aufbrausenden Mutter, meine eigene Nützlichkeit und meine Zukunftsaussichten betreffend, als Gymnasiast eine Bratpfanne in hohem Bogen aus dem Küchenfenster im ersten Stock in den Garten, aber ganz phlegmatisch und mit einem Gesichtsausdruck äußerster Gelassenheit, britisch sozusagen, machte daraufhin auf dem Absatz kehrt und dachte, nicht unzufrieden mit mir selbst: Well done! So macht man das! In diesem Hause werden des Menschen Feinde seine eigenen Hausgenossen sein. In diesem Hause passieren die meisten Morde innerhalb der eigenen Familie.
    Solltest du aber kein Interesse haben, nun gut, dann würden die Eltern dein Elternhaus verkaufen, auch wenn es dem Vater vermutlich das Herz brechen würde. Aber sie alleine brauchen kein so großes Haus, und sie können es sich auch nicht leisten. Emma steht in dieser Angelegenheit auf der Seite deiner Eltern. Sie möchte lieber heute als morgen umziehen. Die Mansardenwohnung am anderen Ende der Stadt, in der ihr seit einem halben Jahrzehnt lebt, ist schlecht isoliert. Im Winter hat es sechzehn Grad, im Sommer vierzig. Gesund kann das nicht sein. Man muss auch an das Kind denken. Balkon gibt es keinen. Aber wenn man das Küchenfenster öffnet, sieht man die Gärten der Nachbarhäuser und die Swimmingpools in diesen Gärten, und von links und rechts hört man an heißen Tagen in regelmäßigen Intervallen das satte Platsch! Das dicke Nagetier Neid hat sich in der Mansarde eingenistet. Und dann dein Arbeitszimmer: diese Besenkammer, wie sie Emma nennt, manchmal auch Selchkammer: Rauchen darfst du nur hier. Man muss an das Kind denken.
    Hier dagegen in deinem Elternhaus hättet ihr selbst einen Garten, wenn auch ohne Platsch. Hier könntest du dir ein geräumiges Büro einrichten und ungestört arbeiten. Überhaupt schreibt ein richtiger Schriftsteller bekanntlich im ganzen Haus. Je nach Tageszeit und Jahreszeit wandert er von Zimmer zu Zimmer, von Fenster zu Fenster, von Tisch zu Tisch. Hier könntet ihr euch niederlassen, ausbreiten, Möbel einbauen. Hier könntest du Veranda, Dachboden und Keller ausbauen und sogar ein unterirdisches kleines Museum einrichten. Nicht zu vergessen die wunderbare Lage, und in Form der Großeltern hättet ihr die Babysitter jederzeit auf Abruf im Haus.
    Das sind alles gute Argumente. Dir ist das Räumen, der Auszug, der Abschied vom Elternhaus so schwer gefallen damals. Aber dann warst du trotz mancher Unzukömmlichkeiten der Mansardenwohnung am anderen Ende der Stadt doch stolz und froh, den Erziehern und den Besserwissern zu entkommen, auch wenn sie längst keine mehr waren, und in einem Mehrparteienhaus mit lauter jungen Leuten zu wohnen. Wie stolz warst du auf Türschild, Mietvertrag und Wohnungsschlüssel! Wie stolz warst du, unbeobachtet, frei, nicht mehr tagtäglich Sohn, sondern Vater, vor allem aber dein eigener Herr zu sein. Ein halbes Jahrzehnt haben die Geräusche aus anderen Stockwerken dich nicht betroffen, und sie haben dir nichts erzählt, was dich angegangen wäre. Ein halbes Jahrzehnt hast du die Eltern nicht im Nachtgewand gesehen, sie dich nicht,

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