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Absturz

Absturz

Titel: Absturz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gstaettner
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hängt am Schauspieler, Josef, alles! Der Schauspieler muss letzten Endes sein eigener Regisseur sein. Kein Schauspieler, aus dem ein Regisseur einen großen Schauspieler gemacht hätte, vor allem keiner der Hausregisseure! Die bequemlichen Hausregisseure, Josef, die damit beschäftigt sind, die bequemlichen Hausschauspieler zu beschäftigen: Beislberühmtheiten, denen ihre Beislberühmtheit völlig genügt. Zwischendurch gegrüßt werden auf der Mariahilfer Straße oder im Café Eiles, und schon halten sie sich für den Nabel der Welt. Mir wäre das zu wenig, Josef. Ich komme nicht hoch. Es geht nicht. Nur nichts anmerken lassen! Lassen Sie mich noch ein wenig sitzen! Preisverleihungen beginnen nie pünktlich.
    Hier herrscht schon seit Jahren eine geradezu verbrecherische Bequemlichkeit, Josef! Das ganze Haus versinkt am Tag nach der Premiere in Agonie und Kritikabwartetotenstarre. Die Schauspieler werden lethargisch und entwickeln Familiensinn. Das ist die Kehrseite der Gewerkschaft. Kunstgewerkschaft ist Quatsch. Ich muss ja nicht Schauspieler bleiben, jedenfalls nicht Theaterschauspieler, jedenfalls nicht am Haus.  Der Alpenkönig und der Menschenfeind , Auslastungsstück. Ich weiß, dass Raimund hier sehr geschätzt wird, Josef, das weiß ich.
    Ich kann nicht sagen, dass mir der Skraup-Preis nichts bedeutet. An einem Skraup-Preisträger kann man nicht mehr so ohne Weiteres vorbeisehen, Josef, vom Skraup-Preisträger ist der Weg nicht mehr weit bis zum Kammerschauspieler. Die Schienen sind jetzt gelegt. Aber ich habe fünfzig Jahre ohne Geld gelebt. Da lässt man sich von einem momentanen Geldzufall nicht mehr an die Leine nehmen. Fünfzig Jahre ohne Geld! Aber dafür habe ich mir Wolfgang Neuss gegönnt. Das war ein Mann! Das war eine Schnauze! Heute gibt es kaum noch Bombenleger in unserer Branche. Kein einziger Schauspieler hier ist wahnsinnig. Auch in der Direktion ist niemand wahnsinnig. Wie soll man denn da arbeiten können?
    Das Fernsehen!  Tatort ! Tatortmörder! Staatsanwalt als Tatortmörder! Das würde mich reizen. Oder das Hamburger Schauspielhaus. Das Hamburger Schauspielhaus wäre auch für Sie eine Herausforderung, Josef. Weg von Wien! Wien ist ein Elend. Das ist eine Formel, die Sie guten Gewissens auswendig lernen können! Aber ich weiß schon, Ihre Frau hat Blutdruckschwankungen und die Gicht, und Sie haben eine Gemeindewohnung. Wer einmal eine Gemeindewohnung hat, der ist fertig mit sich und der Welt. Die Gewerkschaft ist dem Bombenlegen immer skeptisch gegenübergestanden. Aber was ist denn Theater anderes als Bombenlegen, Josef? Als ich Philipp kennenlernte, wollte ich als Erstes wissen, ob er Bomben legt. Er hat mich zurückgefragt, was ich wohl glaube, was er so lange alleine in der Wahlzelle mache.
    Die Frau Direktor ist eine enorme Theatermacherin, aber durchgehend aufgeregt und dreihundertfünfundsechzig Tage im Jahr völlig unansprechbar. Ich habe die Frau Direktor noch nie unaufgeregt gesehen, Josef! Noch nie. Die unentwegte Flatterei durchs ganze Haus hat natürlich psychosomatische Auswirkungen. Vor und nach den Premieren Wurzelbehandlungen und Kieferhöhlenspülungen sowie eine unaufhörliche Abfolge von Koliken, die natürlich nach außen hin alle verheimlicht werden müssen, denn alle Schauspieler der Stadt wollen Volkstheaterdirektor anstelle der Volkstheaterdirektorin werden, und alle sägen unentwegt am Sessel der Direktrice.
    Die Menschen machen sich kaputt mit ihrem Menschsein. Ick weeß nich Josef, ick weeß nich. Mein Körper ist mein Feind, hat Philipp mir einmal gesagt. Dabei ist er noch so jung, nur eben nicht wirklich zum Existieren geschaffen. Eine Blaulichtexistenz! Blaulichtexistenzen identifizieren einander sofort als Blaulichtexistenzen. Wilfried Schulze hat mich einmal aus Hamburg angerufen, prinzipiell. Aber es wäre eine Nebenrolle gewesen, keine Hauptrolle. Ich weiß gar nicht, ob es üblich ist, als Skraup-Preisträger eine Dankesansprache zu halten.
    Skraup-Preis. Zungenbrecher. Der Verwaltungsdirektor hat mir erzählt, Kurt Kahl vom  Kurier  habe nach dem  Schopenhauer  viermal geklatscht. Viermal! Nach  Anatol  bloß dreimal.  Anatol  kann man aber auch nicht so lustlos machen.
    Immer die Frage: Soll man sein Gesicht in Nebenrollen verbrauchen in Hamburg? Oder die Agentur wechseln? Oder weniger spielen? Liebe Frau Direktor! Liebe Freunde des Hauses und Freunde im Haus! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist mir eine große Freude und hohe Ehre –

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