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Absturz

Absturz

Titel: Absturz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gstaettner
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sich der Kopf des Vaters, oder baumelt er bloß? Die rechte Hand macht eine wegwerfende Handbewegung. Die rechte Hand sagt: »Lasst mich!« Oder baumelt sie bloß? Und Hals und Gesicht des Vaters werden gelb und wieder grau und wieder gelb. Immer gelber, immer grauer. Du zitterst. Du hältst den wackligen Körper des Vaters und sagst: »Nur ruhig, Papa, nur ruhig!« Und du denkst: »Nicht jetzt, Papa! Nicht in meinen Armen!« Dann aber stürzt eine Traube von Sanitätern in Uniformen herein, eine enorme Geschäftigkeit bricht los. Du musst beiseitetreten, du weichst nicht widerwillig, und im Nu ist Papa vor lauter Rotes Kreuz nicht mehr zu sehen. Einer spricht in sein Funkgerät: »Indikation eins!« Und Strom und Handtücher, Spritzen, Infusionen und ambulantes Hightech. Das alles dauert ein Jahr, und das alles dauert eine Sekunde, und dann packen die Sanitäter Papas Körper und tragen ihn aus dem Haus. Du willst aber nicht hinschauen, als Papa aus dem Haus getragen wird: aus seinem Haus. Aus dem Haus seiner Mutter und seines Großvaters und seines Urgroßvaters. Aus meinem Haus. Du fotografierst nicht, jetzt wo dein Kopf ganz plötzlich ein Fotoapparat geworden ist. Nur jetzt keine Bilder, die du nie wieder aus dem Kopf bekommst! Aber du denkst: Diesmal kommt er nicht mehr zurück. Diesmal ist es für immer. Vor dem Haus legen die Helfer den leblosen Leib des Vaters auf die Bahre und sichern ihn und schieben ihn in den Rettungswagen. Schon fährt das Blaulicht zuckend alle Hauswände hinauf. Schon schlägt eine scharfe Sirene Alarm. Schon ist kein Wagen mehr, kein Bild für die Augen, nur das grelle  Tatütatü  verklingt nicht in den Ohren. Ein Jahr, eine Sekunde.
    Die Intensivstation ist neu und hell, steril und hermetisch. Wer nicht als Körper, wer als Mensch kommt, wer vertikal, nicht horizontal kommt, muss die Hände waschen, einen grünen Mantel anziehen, der am Rücken zuzubinden ist, an der Pforte läuten und warten, bis irgendwann irgendeine phlegmatische Gestalt kommt und aufmacht.  Es könnte um Sekunden gehen. Es könnte schon vorbei sein und ein für allemal zu spät.  Irgendwann kommt irgendwer und hat das Gesicht von einem Grottenolm. »Zu wem wollen Sie? Kann ich nicht sagen, ob wir den dahaben. Kann ich nicht sagen, ob der noch lebt. Moment. Warten Sie hier.« Die Intensivstation ist groß und weitläufig. Irgendwo sind manchmal Ärzte und Medizintechniker. Sie haben viele Wege. Sie haben viel zu tun. Irgendwo sind manchmal Pfleger. Sie haben viele Wege. Sie haben viel zu tun. Überall sind immer zwischen Maschinen versteckte Körper in weißen Nachthemden, unansprechbar, stöhnend. Sie haben nichts zu tun. Sie haben keine Wege. Darum kreuzen sie sich nicht. Entweder dringt verhaltenes Stöhnen aus unbewegt offenen Mündern, oder sie liegen in Ohnmacht, oder sie sterben gerade, oder sie sind tot. Wenn man die Apparate zu interpretieren wüsste. Türen gehen geräuschlos auf und zu. Kaum vorstellbar, dass in diesen Stationstüren arme Seelen hausen. Im Zentrum der Intensivstation sitzt hinter einer gigantischen Theke hinter Panzerglas eine Schwester, die apathisch auf die Tastatur ihres Computers klopft und seit tausend Jahren an ihrem Ödnis ausdünstenden Gesicht arbeitet. Vor lauter Schicksalen ist sie schicksalslos geworden. Wenn es so weit ist, wird ihre eigene Todesursache  Verstaubung  sein, denkst du. Die Intensivstation der  Ersten Medizinischen  ist nach den allermodernsten Gesichtspunkten ausgestattet, medizinisch, technisch, innenarchitektonisch und auch sonst. An die Toiletten für das Personal grenzt das Isolierzimmer der Intensivstation, und an der Tür des Isolierzimmers der Intensivstation steht in großen Buchstaben das Wort  Isolierzimmer , damit auch ja jeder, der das Isolierzimmer betritt, ganz genau weiß, dass er das Isolierzimmer betritt, wenn die Gattin zum Gatten, der Sohn zum Vater kommt, die Nochgattin zum Nochgatten, der Nochsohn zum Nochvater, als ob nicht ohnehin jeder, der das Isolierzimmer betritt, ganz genau wüsste, dass er das Isolierzimmer betritt, denkst du während des Wartens und gehst auf und ab, den Blick zu Boden gerichtet. Ob in der Tür zum Isolierzimmer eine Seele hockt, und wenn ja, ob sie mit dem Kopf wackelt und wie es ihr sonst geht? Du wartest und wartest, zweihundert Mal die paar Meter von der Personaltoilette zum Isolierzimmer und vom Isolierzimmer zur Personaltoilette zurück, immer schneller, immer schneller. Das Warten nimmt kein

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