Abteil Nr. 6
einen Clown mit hohem Hut, der aussah, als wäre er schizophren und hätte außerdem einen Trip eingeworfen, im Arm. Nach einer verschämten Lichtung rutschte die violette Sonne hinter dick verschneite Nadelbäume. Tief im Dickicht des Waldes schliefen kleine Vögel in ihren Nischen, zähe Hasen mit weißem Fell in ihren Bauten und schnarchende Bären in ihren Höhlen.
Arisa machte ihren Rundgang durch die Abteile, gefolgt von der Waggonbedienerin Sonetschka in ihrer zu großen Uniform. Die junge Frau sprach Sonetschka an, doch diese war so schüchtern, dass sie sofort den Kopf abwandte. Sie verschwand hinter Arisa im ersten Abteil des Waggons. Das war der Privatbereich der Dienstkräfte, dort quoll Tag und Nacht gleichmäßig der Dampf aus dem wütend kochenden, wandhohen Samowar. Zig Eimer Wasser passten in dieses Gefäß.
Nun rollte wieder die inzwischen blass gewordene Sonne über den Horizont. Dämmriger Wald wuchs murmelnd einem dürftigen Himmel entgegen, den graue Wolken zierten. Sobald der Mann im Gang auftauchte, kehrte die junge Frau ins Abteil zurück. Sie spürte das Zittern der Gleise und schlief ein.
Als sie aufwachte, betrachtete sie der Mann mit schwer gekränkter Miene. Sie lächelte bei dem Gedanken, wie logisch alles war. Sie hatte Moskau verlassen, weil nun der richtige Zeitpunkt war, ihren und Mitkas gemeinsamen Traum von einer Zugfahrt durch Sibirien bis in die Mongolei wahr zu machen. Zwar war sie die Fahrt alleine angetreten, doch dafür gab es einen klaren Grund.
Der Mann hatte ein völlig abgegriffenes Kartenspiel aus der Tasche genommen und fing an, eine Patience zu legen.
»Die Georgierin«, sagte er, »die hat Beine wie eine Giraffe und weiß sich unsereinem so gut zu verkaufen, dass ich vergesse, dass ich sie gekauft habe. Die Armenierin ist von der Geschichte zur demütigen Lesbe und zum guten Kumpel degradiert worden, und sie züchtigt ihre Kinder nicht. Die Tatarin mag nur Tataren, die Tschetschenin ist eine Kreuzung aus guter Gebärmaschine und Drogenhändlerin, die Dagestanerin ist klein, dünn, hässlich und riecht nach Kampfer, und die dumm-stolze Ukrainerin spinnt mit furchtbarem Dialekt ihre ewigen nationalistischen Intrigen. Da werden einem russischen Mann die Ohren taub. Und dann kommen die Baltinnen. Alle beim Pissen gemacht. Kein Geheimnis. Viel zu praktisch. Die haben das Lächeln falsch rum auf und gucken nicht rechts und nicht links.«
Er klopfte mit den Fingern auf die Tischplatte. Die junge Frau hüstelte überdrüssig, aber der Mann schenkte ihrer Meinungsäußerung keine Beachtung.
»Ich hab noch nie eine Russin gebumst, die nicht wenigstens einen Moment lang zufrieden gewesen wäre. Und das, obwohl auf diesem Schwanz hier mehrere tausend Muschis in allen Schattierungen auf und ab gehüpft sind.«
Er hielt der jungen Frau seine starken Hände mit den langen Fingern hin. Die Nägel waren platt und sauber. Es waren fürchterliche Hände. Einen Moment lang war der Gesichtsausdruck des Mannes gleichgültig, dann nur noch feindselig.
»Aber erzählen Sie mir doch mal, warum eine wie Sie mit diesem Zug fährt. Um die Fotze zu verkaufen?«
Die junge Frau verlor die Fassung, sie stöhnte erbärmlich, dann griff sie nach einem Winterstiefel unter dem Bett, schleuderte ihn auf den Mann und verließ das Abteil. Der Absatz traf den Mann direkt an der Schläfe. Auf dem Gang musste sich die junge Frau erst beruhigen, bevor sie zu Arisa ging und darum bat, das Abteil wechseln zu dürfen.
Arisa lauschte ihrer Erklärung mit zur Seite geneigtem Kopf.
»Mal sehen«, sagte sie so gedehnt, dass die junge Frau ihr einen Fünfundzwanzig-Rubel-Schein hinschob.
Arisa hielt ihn augenscheinlich für nicht groß genug.
»Unsere Gesetze verbieten es, das Abteil zu wechseln. Aber vielleicht kann ich in diesem Fall etwas Einfluss nehmen. Das ist allerdings sehr schwierig.«
Die junge Frau drückte einen weiteren Schein im gleichen Wert in Arisas Hand, mehr konnte sie sich nicht leisten.
Arisa warf einen verächtlichen Blick auf das Geld.
»Es ist eine anspruchsvolle und für mich sogar gefährliche Aufgabe, die Gesetze zu umgehen. Ich kann meine Position verlieren oder wegen Ihnen ins Gefängnis kommen. Aber ich könnte es eventuell einrichten, wenn …«
Die junge Frau hörte sich den Satz nicht zu Ende an, sondern stürzte, den Tränen nahe, auf den Gang. Ihr blieb nichts anderes übrig, als die Niederlage zu schlucken und des Nachts so spät wie möglich zu dem Mann
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