Abzocker
ziemlich sicher, dass sie mir ohnehin nicht passten. Außerdem wollte ich dem Burschen auf keinen Fall begegnen, wenn ich seine Jacke anhatte. Schuhe und Socken würden ihm, wer immer er auch war, nicht auffallen. Sein Anzug schon eher.
Mit den Hemden hatte ich wieder Glück. Wir waren verschieden gebaut, aber seine Arme waren genauso lang wie meine, und er hatte dieselbe Kragenweite. Seine Hemden passten, und er hatte eine Menge Hemden eingepackt. Ich legte sie in die Schubladen.
Im Koffer war noch der übliche Kram, Krawattennadeln, Manschettenknöpfe, Kragenklammern und verschiedene Kleinigkeiten. Ich sah mir alles an und legte es dann weg. Seine Kleider waren aus New York, und ich fragte mich, ob er auch von dort stammte oder sich nur dort eingekleidet hatte.
Und dann fand ich die Kassette.
Zuerst dachte ich an Geld. Die kleine Holzkassette war aus Teak oder Mahagoni, und sie hatte etwa die Größe einer Dollarnote. Ich holte tief Luft und betete, dass ein Bündel Hunderter in der Schachtel sein möge. Vielleicht war der Scheißkerl ein Arzt, der Rezepte an der Steuer vorbei nur gegen Bares ausschrieb. Es gab Hunderte von möglichen Erklärungen, warum jemand Bargeld auf Reisen mit sich herumtrug.
Die Kassette machte mir Mühe. Sie war verschlossen, und keiner meiner Schlüssel passte. Nach einer Weile gab ich es auf und stellte sie auf die Kommode. Auf der Rückseite hatte die Kassette Scharniere. Ich besaß eine winzige Feile, die exakt zwischen das Holz und das Scharnier passte.
Als ich die Kassette fast offen hatte, hielt ich inne und steckte mir eine Zigarette an. Ich spielte ein kleines Spiel mit mir selbst. Die Kassette war ein Geschenk, und ich musste erraten, worin das Geschenk bestand. Geld? Pfeifentabak? Kunstdünger?
Es konnte alles Mögliche sein.
Ich nahm den Deckel ab. Oben lag ein Stück Seidenpapier, das ich sofort entfernte.
Unter dem Papier war nichts als weißes Pulver.
Ich war komplett am Boden zerstört. Es gibt kaum etwas Aufregenderes als eine verschlossene Kassette. In meinen Gedanken hatte der Inhalt schon die Ausmaße eines Vermögens angenommen. Und jetzt stellte sich die Kassette des alten L.K. B. als eine solche Enttäuschung heraus. Pulver!
Vielleicht lag etwas unter dem Pulver. Ich wollte es schon wegblasen, doch da klingelte es plötzlich irgendwo in meinem Kopf, und ich überlegte es mir anders.
Ich starrte das Pulver an.
Es starrte zurück.
Ich brachte es fertig, meine Zigarette zu Ende zu rauchen, und drückte sie in dem Aschenbecher aus, den das Management des Shelburne- Hotelsfreundlicherweise bereitgestellt hatte. Dann wandte ich mich wieder der Kassette zu. Ich befeuchtete einen Finger mit der Zunge und tauchte ihn vorsichtig in die pulvrige Substanz.
Ich leckte den Finger ab.
Es war absolut erstaunlich. Ich blinzelte ein paarmal hektisch, leckte den Finger noch einmal ab und tauchte ihn noch einmal in die Kassette.
Ich leckte erneut.
Der Geschmack war unverkennbar, wie immer, selbst nach all den Jahren. Doch wenn man für einen Drogenring arbeitet, will man alles über das Business erfahren, was es zu erfahren gibt. Und zuallererst macht man sich mit dem Produkt vertraut. Auch wenn der Kontakt nur über Mittelsmänner läuft, auch wenn man nur kurz dabei ist, dieses Wissen zumindest eignet man sich an. Ich hatte das Spiel nicht mal zwei Monate mitgemacht, als unbedeutender Drogenkurier. Aber ich wusste, was hier auf meiner Kommode stand. Ich war im Besitz von etwa knapp einem Kilo reinem Heroin.
2
Ein paar Minuten stand ich da und kam mir vor wie ein Idiot. Ich hatte an der Bahnstation mehr als eine Garderobe mitgehen lassen, ich hatte ein Vermögen gestohlen. Was mochte das Heroin wert sein? Ich hatte keine Ahnung. Hundert Riesen, eine Viertelmillion, vielleicht mehr, vielleicht weniger. Ich wusste es nicht, und ich wollte auch nicht darüber nachdenken.
Ich konnte das Zeug nicht behalten. Ich konnte es auch nicht verkaufen oder zurückgeben. Wenn L. K. B. mich je damit fand, würde er mich umbringen, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Wenn die Bullen das Zeug bei mir entdeckten, würden sie mich einsperren und den Schlüssel mitten im Chinesischen Meer versenken.
Ich konnte es wegwerfen. Aber haben Sie jemals versucht, hundert Riesen oder eine Viertelmillion wegzuwerfen?
Ich legte den Deckel auf die Kassette und suchte nach einer Lösung, was ich tun sollte. Verstecken konnte ich das Zeug nicht. Wer so große Mengen Heroin mit sich
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