Acacia 01 - Macht und Verrat
gerechten Welt sollten Väter erleben, wie aus ihren Söhnen Männer werden. Erst dann sollten sie sie verlassen. Und genau das passiert jetzt.«
Sprotte bemerkte auf dem Pier eine zweite Bewegung. In atemloser Spannung beobachtete er, wie das Boot aus der Dunkelheit auftauchte und wieder auf die Ballan zuhielt. Am liebsten hätte er es angehalten. Er brauchte mehr Zeit. Zu Dovian sagte er: »Wir haben einen Beschluss gefasst. Es steht dir nicht zu …«
Der alte Mann seufzte. »Eines Tages wirst du auf dem Thron von Acacia sitzen. Ganz bestimmt, auch wenn du’s noch nicht weißt. Wenn’s nach mir ginge, würde ich dann gerne neben dir stehen, stolz wie nur was. Aber ich kann dir dabei nicht so helfen, wie ich gern möchte. Das hier ist ein Beitrag, den ich leisten kann.« Er legte dem jungen Mann die Hand auf die Schulter. »Lass mich dir ein letztes Beispiel geben – lass dir von mir zeigen, wie man ruhmreich stirbt.«
Sie hörten nicht, was die Rückkehrer berichteten, doch ihre Botschaft wurde flüsternd weitergeleitet. Der Schlüssel passte! Das Lagerhaus stand offen. Die beiden Wachposten am Eingang hatten sie getötet, und weitere waren nicht zu sehen.
»Das wird ein gewaltiges Feuerwerk geben, das verspreche ich dir. Ach, komm schon, Dariel. Das ist meine letzte Bitte an dich … Nein, ich habe noch eine zweite. Die wirst du mir nicht abschlagen. Das weiß ich, denn dazu habe ich dich zu gut erzogen.«
Kaum eine Stunde später setzte Sprotte das schwarze Segel, während die anderen noch immer ruderten. Der Wind hatte gedreht. Er trieb sie stetig durch die Wellen. Im Osten kündete ein rötlicher Schimmer vom bevorstehenden Sonnenaufgang. Hinter ihm war Schwärze, Schweigen. Wie in seinem Traum, dachte er. Hinter ihm das Nichts. Die namenlose Bedrohung, vor der er immer flüchten musste.
Eine zweite Stunde verstrich. Einige taten flüsternd ihre Befürchtung kund, Dovian sei entdeckt worden. Niemand wusste, was ihn hinter der Schwelle des Lagerhauses erwartet hatte. Vielleicht war die Unternehmung gescheitert. Sprotte ging zum Bug des Schiffes. Was auch geschehen war, Dovian war fort. Es kam ihm vollkommen unwirklich vor. Im Grunde unvorstellbar. Am liebsten hätte er das Schiff und die Zeit angehalten und …
Seine Gedanken wurden brutal unterbrochen. Sprotte wusste genau, in welchem Moment Dovian seine Seele dem Schöpfer anvertraut hatte. Der Lichtblitz, der es verkündete, machte die Nacht zum Tag und verwandelte das Meer in einen schwarzen Spiegel, auf dem die Konturen des Himmels flirrten und tanzten. Er blickte sich nicht um. Er wagte es nicht. In diesem Augenblick war er sich sicher, dass hinter ihm eine gewaltige Stichflamme in die Höhe schoss und dass Dovians Seele an ihrer tosenden Spitze in den Himmel auffuhr. Er war überzeugt, dass das Inferno sich ausbreiten und die ganze Welt verschlingen würde, wenn er sich umdrehte. Diese Gedanken waren ebenso unbegründet wie die Logik eines Traums, die überhaupt keine Logik ist. Das wusste er, trotzdem blickte er unverwandt zum östlichen Horizont und betrachtete nur das Himmelsfeuer, das sich dort entfaltete, während er vor der Feuersglut in seinem Rücken in den anbrechenden Tag floh.
47
Obwohl Mena ihre Pflichten Maeben gegenüber gewissenhaft erfüllte, nahm Melios Unterricht ihre Aufmerksamkeit jetzt weitaus mehr in Anspruch. Wenn sie ihre Aufgaben als Gottheit erledigt hatte, erwartete er sie bereits in ihrem Haus. Anstatt sich wie zu Anfang mit ihr zu unterhalten, unterwies er sie ausschließlich im Schwertkampf. Er behauptete, aus der Übung zu sein und keine Erfahrung als Lehrer zu haben, füllte die Rolle jedoch so gut aus, als sei er dafür geboren.
Einige Tage nachdem Mena ihren Wunsch geäußert hatte, war Melio ins Hochland gewandert und hatte nach geeignetem Holz für die Übungsschwerter gesucht. Zwar gab es hier keine Eschen wie in Acacia, doch er fand ein stark gemasertes, rötliches Holz, das ihm geeignet schien. Nach Ablauf der ersten Woche tanzten sie beide mit den Übungsschwertern. Sie waren etwas leichter, als es Melio lieb gewesen wäre, erfüllten aber ihren Zweck. Seine Finger liebkosten die sanfte Krümmung der Klingen, als wollten sie sich jeden Zoll davon einprägen. Täglich nahm er kleine Verbesserungen vor, verzierte die Waffen mit Schnitzereien, ölte und schmirgelte sie, bis sie nicht nur taugliche Übungsgeräte waren, sondern auch ästhetischen Anforderungen genügten.
Mena hatte wenig Mühe, sich die
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