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Acacia 01 - Macht und Verrat

Acacia 01 - Macht und Verrat

Titel: Acacia 01 - Macht und Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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Atoll zu finden, an das Dovian sich erinnerte, erwies sich als schwierig. Zwei volle Tage lang suchten sie erfolglos danach und wollten schon aufgeben. Dann aber sichteten sie am folgenden Morgen ein paar Palmenwipfel am Horizont. Sie hielten darauf zu und verbrachten den Nachmittag im Palmenschatten am Strand, wo sie ein letztes Mal alles durchsprachen und Kokosmilch mit Zucker tranken, mit Wasser verdünnt und mit einem Schuss Schnaps versetzt. Allerdings nicht viel, gerade genug, dass sich ihre Stimmung hob, aber so wenig, dass die Wirkung am Spätnachmittag verflog, als sie sich wieder an die Arbeit machten.
    Sie holten die gewöhnlichen Segel ein und setzten stattdessen blauschwarze Leinwand. Den Rumpf der Ballan strichen sie schmutzfarben an und beschmierten alle glänzenden Beschläge. Die wenigen Glasfenster verhängten sie mit Tüchern. Dann stachen sie wieder in See, jagten der im Meer versinkenden Sonne nach und segelten dann weiter in eine schwarze Nacht hinein. Dovians Stimme ertönte aus der Stille und sprach ihnen Mut zu. Er machte keine großen Worte und gab auch keine detaillierten Anweisungen. Er erwähnte lediglich ein paar alltägliche Ereignisse, erinnerte an vergangene Abenteuer und machte Bemerkungen über Dinge, die ihm an einzelnen Besatzungsmitgliedern aufgefallen waren und die er gern mit allen teilen wollte. So vergingen die Stunden.
    »Licht voraus!«, rief der Mann im Ausguck.
    Gleich darauf hing Sprotte am Rand der kleinen Plattform, nachdem er mit höchster Geschwindigkeit den Mast hinaufgeklettert war. Er drückte sich dicht an den jungen Seemann. »Wenn ich’s nicht besser wüsste, würde ich glauben, das ist eine Stadt«, sagte der Seemann. »Eine große Stadt wie Bocoum.« Er schwieg einen Moment. »Nein, größer. So groß wie Alecia.«
    Selbst das war noch untertrieben. Es war nicht nur die Anzahl der Lichter. Es war die Art und Weise, wie sie sich meilenweit am Horizont hinzogen. Noch hatten sie Mühe, die Entfernungen abzuschätzen, doch Sprotte vermochte das Gefühl nicht abzuschütteln, sie hätten die Küstenlinie einer großen Landmasse vor sich. Während Dovian befahl, erst ein Segel und dann noch ein zweites einzuholen, blieb er im Ausguck. Erst als der Befehl erteilt wurde, die Ruder auszufahren, kletterte er hinab und sprach im Flüsterton mit den Männern. Er half ihnen, die Ruder lautlos in die Dollen einzufügen, die sie zu diesem Zweck gepolstert hatten. Eine Weile ruderte er auch selbst in dem langsamen, stetigen Rhythmus, den Nineas vorgab. Die Ruder waren das schlagende Herz des Schiffes, mehr zu fühlen als zu hören.
    Später stand Sprotte neben Dovian und sah zu, wie das gewaltige Gebilde an ihnen vorbeizog. Er versuchte, dessen Größe zu erfassen und seine räumliche Ausdehnung in Begriffe zu kleiden. Nichts deutete darauf hin, dass das Bauwerk im Wasser schwamm. Es wirkte so gewaltig, als wäre es aus Stein erbaut und als ruhten die Fundamente auf dem Meeresgrund. Die flachen, schmucklosen Wände ragten hundert Fuß über die Meereswogen auf. Erst darüber wurde die strenge Geometrie durch Balkone, Terrassen, Türme und erleuchtete Fenster aufgelockert. Wie viele Menschen mochten hier leben? Fünfhunderttausend? Eine Million? Oder noch mehr? Ihm war, als blickten tausend Augenpaare auf sie herunter. Sie ruderten neben einem Ungetüm dahin, und Vorsicht und Ehrfurcht ließen sie verstummen.
    Dann bogen sie um den Südrand der Plattformen. In der Ferne lag ein großes rechteckiges Gebilde. Es hob sich als schwarzer Schatten vom Nachthimmel ab, ein Quader aus Obsidian. Nur in den Ecken brannte jeweils ein trübes Licht. Eine Schwimmbrücke von einer Viertelmeile Länge verband es mit dem Hauptgebäude. Die Brücke war so breit und so eben wie die größten Straßen des Reiches. Ihr kaum wahrnehmbares Schwanken in den Meereswogen ließ an ein aufgetauchtes Seeungeheuer denken.
    »Sag den Leuten, sie sollen das kleine Boot klarmachen«, sagte Dovian. »Wenn wir nahe genug sind, lass es zu Wasser. Gib Clytus und Wren den Schlüssel. Die beiden sollen sich um das Schloss kümmern.«
    »Clytus und Wren?«
    »Und sechs schwer bewaffnete Männer sollen sie rudern. Sie kommen schon zurecht. Das weißt du auch. Wenn sie abgelegt haben, komm wieder zu mir. Ich möchte dich hier bei mir haben, damit du hörst, was ich zu sagen habe.«
    »Wir müssen die Lose ziehen«, gab Sprotte zu bedenken.
    »Tu, was ich dir gesagt habe. Und dann komm wieder her.« Sprotte gehorchte.

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