Acacia 01 - Macht und Verrat
Holzschwert in Händen halte. Aber ich soll mir vorstellen, es wäre eine richtige Klinge, die für einen einzigen Zweck ersonnen, gegossen, geschmiedet und geschliffen wurde, nicht wahr? Und worin besteht dieser Zweck?«
Die Antwort des Lehrers klang wie auswendig gelernt. »Das Schwert ist das Verbindungsglied zwischen dem Schwertkämpfer und seinem Gegner«, sagte er. »Richtig gebraucht, stellt die Klinge eine Erweiterung des Körpers und des Geistes dar. Eine scharfe Klinge ist das Werkzeug eines scharfen Verstandes …«
»Nein.« Mena schüttelte ungeduldig den Kopf. »Zu verletzen! Das ist sein Zweck. ›Erweiterung des Geistes‹ sagt mir nichts. Wenn das Schwert gezogen wird, soll es verletzen. Er soll nicht parieren, nicht tanzen und keine Hiebe ausführen, die der Gegner erwartet. Ein Schwert ist eine Waffe. Und ich will lernen, es als Waffe zu gebrauchen.«
»In der Wirklichkeit hat der Schwertkampf kaum Ähnlichkeit mit unseren Übungen«, erwiderte Melio, »zumal dann, wenn man gegen Gegner kämpft, die die Figuren nicht kennen. Aber wenn man auf zahlreiche bekannte Bewegungsabläufe zurückgreifen kann, verleiht einem das im Ernstfall die nötige Schnelligkeit.«
Mena neigte leicht den Kopf; von unten her musterte sie Melio, während er in gewichtigem Lehrerton sprach. Dann sah sie zu Boden und presste die Lippen aufeinander, als sei dies nötig, um Worte zurückzuhalten, die ihr entschlüpfen wollten.
Schließlich fiel sie ihm ins Wort. »Hebt Euer Schwert. Versucht, mich zu treffen – wenn Ihr könnt, bevor ich Euch treffe.«
»Dann geht es also darum, wer von uns beiden zuerst einen Treffer landet?«
»Ja, das könnte man so sagen.«
Sie nahmen die Grundhaltung ein. Mena nickte, Melio desgleichen. Ein Moment verstrich, dann wussten beide, dass das Duell beginnen konnte. Einer von ihnen war besser darauf vorbereitet als der andere. Menas Hieb war einfach. Direkt und ohne Zögern ausgeführt. Sie bückte sich und traf Melios linkes Bein unterhalb des Knies. Er hatte keine Chance zu parieren, und als sein Bein unter ihm wegknickte, krümmte er sich vor Schmerz und ging zu Boden. Mena stand über ihm und setzte ihm die Schwertspitze an den Bauch.
»Es tut mir leid, aber darum geht es mir: Warum fünfzig Schlagfolgen durchtanzen, wenn ein einziger Hieb genügt?«
Melio blickte entgeistert zu ihr auf. Sie reichte ihm die Hand, zog ihn auf die Beine und lächelte dabei, als hätte sie eben nur einen Scherz gemacht.
Von da an änderte sich ihr Fechten von Grund auf. Mena erlernte die übrigen Figuren; sie meisterte die Bewegungsabläufe rasch und prägte sie sich ein. Allerdings tat sie das ohne großes Interesse, als wolle sie ihn lediglich beschwichtigen. Stattdessen konzentrierte sie sich ganz aufs freie Fechten und überredete Melio immer wieder, ›bis zum ersten Treffer‹ mit ihr zu kämpfen. Anfangs traf Mena häufiger. Melio schien sich innerlich gegen die neue Regel zu sträuben, die besagte, dass jeder von Anfang an versuchen sollte, seine Klinge ins Fleisch des Gegners zu hauen. Von Hieb um Hieb getroffen, schloss er rasch zu ihr auf. Schon bald brauchten sie nicht mehr drei oder vier, sondern sieben oder acht Hiebe, bis das Kurzduell entschieden war. Nach kurzer Zeit benötigten sie schon mehr als zehn Hiebe.
Nachts wälzte Mena sich schlaflos im Bett. Ihr Körper krümmte sich wie eine schnell wachsende Pflanze. Er war übersät mit blauen Flecken und Abschürfungen. Sie hatte Prellungen, und ihre Muskeln protestierten noch immer gegen die ungewohnte Beanspruchung. Doch sie wurde besser. Sie begann, Techniken zu ersinnen, die Melio ihr nicht beigebracht hatte, so zum Beispiel, sich so dicht an ihn zu pressen, als klebten sie aneinander fest, sodass eine Zeitlang beide keinen Hieb anbringen konnten. Dann wieder setzte sie jäh die Schulter als Waffe ein, rammte ihn damit und federte blitzschnell zurück. Sie lernte, seine Klinge mit solcher Wucht zu treffen, dass sie sie ihm mehrmals aus den Händen schlug, oder die beiden Schwerter so zusammenprallen zu lassen, dass sie sich ineinander verkeilten, anstatt voneinander wegzuspringen. Sie lernte, dass das Gefühl für den rechten Zeitpunkt aus ihrem Bauch kam. Bisweilen verlangsamte sie unerwartet ihre Bewegungen und änderte mit einer Muskelanspannung in der Tiefe ihres Leibes ihren Rhythmus so vollkommen, dass Melio Mühe hatte, sich darauf einzustellen.
Mena konnte nicht genau sagen, wie groß das Geschick ihres Lehrers
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