Acacia 01 - Macht und Verrat
haben Haut wie Schweinefleisch.«
Eine hässliche Beschreibung, doch da sie von Tanin stammte, war Mena sich nicht sicher, ob sie zutraf. »Ich sollte mich mit ihnen treffen«, sagte Mena. »In Maebens Gestalt, meine ich … Vielleicht ist es Maebens Wunsch, dass Vumu künftig eine Rolle in der Welt spielt. Wenn ich die Fremden im Gewand der Göttin empfange, verstehe ich vielleicht, was sie wünscht.«
»Das ist dir in letzter Zeit nur schlecht gelungen. Dies ist schon das vierte Kind in …«
»Das ist nicht meine Schuld! Es ist mir verhasst, dass die Göttin Kinder raubt. Ich würde alles tun, um sie davon abzubringen.«
Vaminee schloss die Augen, den Kopf leicht zur Seite geneigt; die Muskeln seines Kiefers waren starr vor Zorn. »Du vergisst dich vollkommen, Mädchen. Ich wollte es nicht glauben, aber man flüstert, du hättest mit Holzschwertern gespielt. Stimmt das?«
»In meiner Unterkunft kann ich tun, was ich …«
»Dann stimmt es also.« Vaminee wechselte einen Blick mit dem anderen Priester. »Das muss sofort ein Ende haben. Es gibt Gerede, Priesterin. Innerhalb deiner Unterkunft kannst du bis zu einer gewissen Grenze tun, was dir beliebt. Du darfst jedoch Maeben nicht entehren.«
Der Vorhang an der einen Seite des Raums teilte sich. Die trauernden Eltern würden jeden Moment eintreten.
Vaminee hatte es bemerkt, fuhr aber dennoch fort: »Du wirst sofort damit aufhören. Und dein Freund – ja, ich weiß Bescheid – wird nächste Woche mit den Schwimmenden Händlern abreisen. Wenn er bleibt, wird er die Folgen zu spüren bekommen. Und du ebenfalls.«
Die Prozession trat ein. Flankiert von Unterpriestern, schritten die gramgebeugten Eltern langsam näher. Als Mena die beiden erblickte, bekam sie Herzklopfen. Sie hatten den Kopf geneigt und die Hände flehentlich vorgestreckt. Sie kamen ihr bekannt vor. Ihre Gestalten, ihre Bewegungen … Sie hatte sie schon einmal gesehen! Es war das Paar, mit dem sie vor ein paar Wochen gesprochen hatte, als sie ihre Tochter verloren hatten. Wenn ihre Augen sie nicht trogen … Wenn sie es wirklich waren …
»Nein«, stieß Mena hervor. »Nicht sie … Ich habe ihnen versprochen, dass die Göttin ihnen nicht auch noch das zweite Kind nehmen würde.«
Vaminees Kopf fuhr zu ihr herum. »Törichtes Mädchen! Es stand dir nicht zu, ein solches Versprechen abzugeben. Schau den beiden ins Gesicht und sieh, was dein falscher Stolz angerichtet hat.«
48
Die Klippenhäuser von Manil boten einen erstaunlichen Anblick. Schwarz wie die Nacht ragten die Basaltwände über zweitausend Fuß senkrecht aus den Meereswogen empor. Häuser waren überall an den Steinwänden in Spalten gezwängt worden. Einige waren sogar an Felsvorsprüngen aufgehängt; wie die Erbauer das angestellt hatten, darüber konnte Corinn sich nur wundern. Die Häuser waren in blassen Blau- und Violetttönen gestrichen, und Banner tanzten in den Luftströmungen.
Da die Häuser ein Tummelplatz waren, wo reiche Händler unter Edelleuten verkehrten, hatten die Akaran sich nie dazu herabgelassen, hier Eigentum zu erwerben. Für andere Angehörige der weitläufigen Königsfamilie galt das freilich nicht. Eine Jugendfreundin, deren Familie ein Haus in Manil besaß, hatte einst damit geprahlt, dass die Böden des Untergeschosses aus dicken Glasscheiben bestünden, durch die man die Meereswogen sähe. Sie hatte behauptet, sie könne aus dem Bett steigen und durch ihr Zimmer gehen und dabei zusehen, wie unter ihr die Möwen dahinzogen. Corinn hatte diese Villa nie besucht. An den Worten des Mädchens hatte sie gezweifelt, doch als sie Manil erblickte, fiel ihr diese Geschichte wieder ein.
Wenn man sich den Häusern vom Meer her näherte, legte man in einem geschützten Hafen an, der von großen Felsblöcken umschlossen war, die als Wellenbrecher dienten. Eines Morgens in der Mitte des acacischen Frühlings trat Corinn zusammen mit Hanish Mein von einem Vergnügungsboot auf den steinernen Pier. Sie stiegen in eine offene Kutsche und fuhren den Serpentinenweg hinauf. Obwohl sie sich noch immer bemühte, fiel es ihr zunehmend schwer, ihre Zurückhaltung beizubehalten. Hanish war ihr gegenüber stets aufmerksam, und in letzter Zeit sogar noch mehr als sonst. Seit dem Aufenthalt in Calfa Ven wollte er sie auf jeder Reise dabeihaben. Und er hatte einige Reisen unternommen. Irgendwie war es ihm gelungen, sie dazu zu bewegen, ihn in die gehobenen Kreise von Bocoum einzuführen. Mit subtil gestellten Fragen – in
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