Acacia 01 - Macht und Verrat
sorgfältig arrangierten Momenten der Stille – brachte Hanish sie immer wieder dazu, den Mund aufzumachen und höflich mit ihm zu reden. Noch immer stichelte sie, wenn sie konnte, doch er war mit seiner Höflichkeit beharrlicher, als sie es mit ihrer Zurückweisung sein konnte.
Die verschwenderische Pracht der Villa, in der sie absteigen sollten, traf man nur bei Häusern an, die für die Muße bestimmt waren. Sie sollte Zeugnis ablegen vom Reichtum des Besitzers und die Gäste für kurze Zeit verwöhnen. Früher hatte sie wohl einer acacischen Familie gehört, vielleicht sogar einer, die sie kannte. Corinn stellte keine Fragen. Derlei Dinge beschäftigten sie inzwischen weit weniger als früher. Anscheinend hatte früher alles Acaciern gehört. Jetzt gehörte es den Mein. Ihr war klar, dass sie dies als persönlichen Affront hätte auffassen sollen, doch es war schwer, sich über Jahre hinweg zu empören. Schon seit geraumer Zeit sprach sie fließend die Sprache der Mein. Bestimmte kulturelle Eigenheiten, die ihr früher fremd gewesen waren, vermischten sich nun – zumindest bei Hofe – so übergangslos mit der acacischen Lebensweise, dass sie Mühe hatte zu bestimmen, wo das eine aufhörte und das andere anfing.
Die Villa war auf der Ebene über den Klippen verankert. Sie ragte über deren Rand hinaus und erstreckte sich mehrere Stockwerke in die Tiefe. Ging man von einem Raum in den anderen, hatte man das Gefühl zu schweben, als kämen die Räume der eigenen Bewegung entgegen und als bräuchte man lediglich ein Zeichen zu geben, um von einem zum anderen zu gelangen. Corinn fand das zunächst etwas beunruhigend, aber auch angenehm. Alle zum Meer hin gelegenen Wände nutzten die Aussicht mit Balkons, die sich über die ganze Hausbreite erstreckten, oder weit heruntergezogenen Fenstern, durch die man das in der Tiefe wogende Meer sehen konnte. Auch die Mosaikböden stellten Meereswellen mit weißen Schaumkronen dar. Delphine sprangen in den Wogen. Fischer klammerten sich an kleine Boote, die sich so stark auf die Seite legten, dass richtige Schiffe längst gekentert wären. Als Corinn später in ihrem Zimmer allein war, verbrachte sie einen Teil des Nachmittags damit, auf den Knien die Mosaikbilder zu studieren und mit den Fingerspitzen über die dramatischen Darstellungen zu streifen. Sie waren so kunstfertig! Es gefiel ihr, wie die Fischer ständig in Lebensgefahr zu schweben schienen, wie ihre lächelnden Gesichter ausdrückten, dass sie dies alles für ein großes Spiel hielten.
Am ersten Abend nahm sie mit Hanish zusammen an einem Bankett teil, das von einer neureichen Mein-Familie gegeben wurde. Früher hätte Hanish die Gesellschaft mit Scherzen auf ihre Kosten unterhalten und einen Anlass gefunden, um zu sticheln. Doch das übliche Gefolge war auf dieser Reise nicht dabei. Hanish begegnete den Gastgebern freundlich, ließ sich jedoch niemals wirklich auf sie ein, obwohl sie sich immer wieder bemühten, ihn in den Mittelpunkt des Geschehens zu stellen. Er schien einfach nicht allzu interessiert zu sein, weder an der Musik noch an den im Überfluss vorhandenen Speisen und Getränken und auch nicht an den um ihn herumscharwenzelnden Männern und Frauen, die alle so sehr darauf aus waren, Hanish Mein zu feiern, ihren Helden, den einzigen Mein, der je den Thron des Reiches errungen hatte und vielleicht den alten Fluch von ihnen nehmen würde. Er war der größte Häuptling in der Geschichte ihres Volkes, und Menschen wie sie wurden es niemals müde, ihn deswegen zu bejubeln.
Doch anstatt sich mit ihnen zu befassen, bewahrte er sich einen Freiraum, um sich allein mit Corinn zu unterhalten. Sie konnte nicht länger leugnen – auch nicht sich selbst gegenüber -, dass sie gern sprach, wenn er zuhörte. Bereitwillig beantwortete sie seine Fragen und genoss es, wenn der Blick seiner grauen Augen auf ihr ruhte, zu wissen, dass der Rest der Anwesenden von außerhalb seiner Anziehungskraft aus zusahen. Sein Selbstvertrauen, das sie früher für Arroganz gehalten hatte, war tatsächlich durchaus reizvoll.
Und Hanish entspannte sich in ihrer Gegenwart, selbst wenn er von schwierigen Staatsgeschäften in Anspruch genommen war. Er erzählte ihr von der Offensive der Gilde gegen die Seeräuber der Außeninseln. Diese sei nicht so glatt verlaufen, wie die Gilde es erwartet habe, meinte er. Ganz im Gegenteil. Einer der Anführer der Banditen nannte sich Sprotte – zweifellos ein ironisches Wortspiel, denn es gab
Weitere Kostenlose Bücher