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Acacia 01 - Macht und Verrat

Acacia 01 - Macht und Verrat

Titel: Acacia 01 - Macht und Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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von Grund auf neu überdenken müssen. Zuvor waren ihre Diener gesichtslose, namenlose Wesen am Rande ihrer Wahrnehmung gewesen. Vom Morgen des darauf folgenden Tages an jedoch sah sie sie mit anderen Augen. Wie dachten sie von ihr? Wem galt ihre Loyalität? Sie beobachtete sie, studierte ihr Verhalten in unterschiedlichen Situationen. Sie versuchte herauszufinden, wer ihr ergeben war, wer seine Verachtung nur mühsam verhehlte und wer besonders leicht zu manipulieren war. Und dann hatte sie angefangen, entsprechende Freundschaften zu schließen.
    Es zahlte sich aus. Die Dienstboten waren den Mein gegenüber weniger loyal, als sie geglaubt hatte. Es schien beinahe so, als hätten sie nur darauf gewartet, dass Corinn aufwachte und sich mit ihnen verschwor. Viele glaubten, Alivers Rückkehr sei vom Schicksal vorbestimmt. Ein Bediensteter meldete ihr, dass Rialus Neptos sich im Palast aufhalte. Ein anderer berichtete ihr von Larkens Tod. Als ein Mädchen namens Gillian ihr erzählte, Sire Dagon sei auf der Insel eingetroffen, bedankte Corinn sich mit einer Umarmung und einem Wangenkuss. Der Gildenvertreter hatte darum gebeten, einen Botenvogel bereitzuhalten. Er wollte früh am Morgen aufbrechen, deshalb verlor Corinn keine Zeit.
    In der Morgendämmerung trat sie aus ihrem Gemach auf den Gang und suchte sich ohne Fackel oder Kerze, allein aus dem Gedächtnis, ihren Weg durch den Palast. Zuvor hatte sie sich sorgfältig angekleidet. Sie trug ein blassblaues Kleid aus seidigem Stoff, das Hals und Schlüsselbein schmeichelhaft zur Schau stellte. Schließlich waren auch Gildenvertreter Männer.
    Inzwischen war ihr klar geworden, dass der Palast jetzt eine Art Gefängnis für sie war. Weder Hanish noch irgendjemand sonst hatte es je ausgesprochen, doch sie hatte die Insel jetzt schon seit mehreren Wochen nicht mehr verlassen. Jedes Mal, wenn sie auf einen möglichen Ausflug zu sprechen gekommen war, hatte Hanish ihren Vorschlag brüsk verworfen. In letzter Zeit folgten ihr die Blicke der Mein-Wächter mit größerer Wachsamkeit als früher. Sie beobachtete ihr Verhalten, wenn sie sich den Grenzen des königlichen Anwesens näherte oder wenn sie in die Nähe der königlichen Gemächer oder der Beratungssäle kam. Niemals trieb sie es so weit, dass ein Wachposten ihr den Weg verstellte, doch sie gelangte zu der Überzeugung, dass Hanish sie unter Bewachung gestellt hatte. Er hatte um sie herum eine unsichtbare Barriere errichtet, ein unheimliches Gefühl.
    Der untere, der Gilde vorbehaltene Teil des Palasts gehörte jedoch nicht zu den offiziellen Bereichen. Sie gelangte unbemerkt hinein. Hanish hatte sich vermutlich nicht vorstellen können, dass sie den Wunsch haben könnte, mit der Gilde Kontakt aufzunehmen. Als sie das Tor durchschritten hatte, brauchte sie nicht mehr auf Mein-Wachposten zu achten. Allerdings bereitete es ihr einige Mühe, die Ishtat-Offiziere dazu zu bewegen, Sire Dagon ihre Bitte um eine Audienz zu übermitteln. Dies gelang ihr nur, weil sie behauptete, Hanish werde erbost sein, wenn man sie abweise, da er sie persönlich zu dem Gildenvertreter geschickt habe. Damit hatte sie gewonnen, wenngleich man ihr auch nur eine kurze Unterredung versprach.
    Als sie Sire Dagons Arbeitszimmer betrat, blätterte er mit seinen langen Fingern gerade in einem Stapel Papiere. Er blickte zerstreut auf. »Meine liebe Prinzessin«, sagte er, »was kann ich für Euch tun? Bitte fasst Euch kurz, denn meine Zeit ist bedauerlicherweise knapp bemessen. Ihr überbringt mir... eine Nachricht von Hanish?«
    Die Prinzessin war weniger nervös, als sie es sich ausgemalt hatte. Sie wusste, dass ihr Dilemma ausreichen sollte, um sie vor Angst zu lähmen. Manchmal ertappte sie sich dabei, wie sie reglos verharrte und ins Leere starrte. Sie dachte häufig an die Vergangenheit, an ihren Vater, ihre Mutter, an das kurze Exil auf Kidnaban. Doch sie war nicht mehr derselbe Mensch, der sie als Kind gewesen war. Ihre Vergangenheit rückte in immer weitere Ferne. Sie glaubte, dass sie etwas bewegen könnte. Sie konnte Einfluss auf ihr Schicksal nehmen. Vielleicht gab ihr der Gedanke, dass Aliver noch lebte und atmete, Kraft. Wenn dies stimmte, entbehrte ihr Handeln nicht einer gewissen Ironie, denn ihr Vorhaben stand nur teilweise mit Alivers Absichten in Einklang.
    »Ihr könnt mir sagen, weshalb Ihr zurückgekehrt seid«, antwortete Corinn. »Was gibt es für Neuigkeiten?«
    Der Gildenvertreter verdrehte die Augen, dann musterte er sie

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