Acacia 01 - Macht und Verrat
waren?«
»Keineswegs, Herr«, antwortete Melio ehrerbietig. »Du hast mich längst übertroffen.«
Aliver blieb stehen und sah den Anwesenden einem nach dem anderen in die Augen. Sein Gesicht war sonnenverbrannt, hager, ansehnlich. Seine braunen Augen waren grau gesprenkelt, von silbrigen Äderchen durchzogen. Nie hatte er königlicher gewirkt als in diesem Moment. »Maeander hat recht. Ich kann die alten Gebräuche nicht ignorieren. Sie sind ein Teil dessen, wofür ich kämpfe. Ich glaube an die Verantwortung des Anführers, auf die Maeander sich bezieht. Was bleibt mir also anderes übrig, als seinen Vorschlag anzunehmen? Wenn ich ablehne, würde ich alles verraten, wofür ich einstehe. Als ich heute Morgen aufgewacht bin, habe ich nicht damit gerechnet, aber so ist es nun einmal. Es ist besser, ich lasse mich darauf ein, als dass ich davor weglaufe.«
Niemand widersprach ihm. Selbst Dariel waren die Argumente ausgegangen. »Wenn alles schon entschieden ist«, sagte er verbittert, »weshalb reden wir dann überhaupt?«
Alivers Mundwinkel zuckten. »Weil ich mich eurer Gesellschaft erfreuen und die Männer da draußen noch eine Weile im Ungewissen lassen möchte.«
»Versprichst du mir, dass du nicht sterben wirst?« Dariel war sich bewusst, wie kindisch er sich anhörte, doch er hatte die Frage gedacht und konnte nicht anders, er musste sie stellen.
»Versprichst du mir das?«
Nein, sagte Aliver. Das könne er natürlich nicht versprechen. Er trat dicht vor Dariel hin und fasste ihn am Kinn. Er nannte ihn Bruder und erinnerte ihn daran, dass er neben ihrem Vater gestanden habe, als Thasren Mein ihm die vergiftete Klinge in die Brust gestoßen habe. Er sei nur eine Armlänge von ihm entfernt gewesen. Er habe gesehen, wie die Klinge vorgeschnellt sei. Er habe dem Mörder ins Gesicht geblickt und dieses Antlitz seither unzählige Male vor sich gesehen. Er könnte diese Züge in Stein meißeln und sie dabei bis ins letzte Detail genau abbilden. Der Zweikampf sei eigentlich nicht erst heute Morgen vorgeschlagen worden. Er habe in dem Moment begonnen, als Thasren ihren Vater getötet habe.
»Wir kämpfen für hehre Ideale«, sagte er, »aber Blut ist auch Blut. Das unseres Vaters muss gerächt werden. Auch das ist ein altes ungeschriebenes Gesetz. Maeander mag es vergessen haben. Aber ich nicht.«
Während er des Königs Vertrauten von der Hüfte löste und auf den Kartentisch legte, erklärte er einem Boten, er nehme die Forderung an. Sie würden mit Dolchen kämpfen. Keine sonstigen Waffen. Keine Rüstung. Ungeachtet des Ausgangs dürften Maeanders Männer und gegebenenfalls auch er selbst das Lager anschließend unbehelligt verlassen. Er gelobe, sich daran zu halten.
Als sie kurz darauf wieder ins Freie traten, hatte Dariel den Eindruck, die Sonne habe die ganze Welt ausgebleicht. Blinzelnd sah er zu, wie der Kampfplatz abgesteckt wurde, ein kleines Oval, von unbewaffneten Zuschauern umringt, die alle gelobt hatten, nicht in den Kampf einzugreifen. Er stand dabei, als Aliver und Maeander den Ring abschritten, entkleidet bis auf die wenigen Kleidungsstücke, in denen sie kämpfen würden. Sie wurden über die Bedingungen des Kampfes belehrt und ihre Waffen auf versteckte Vorrichtungen hin untersucht und für den Fall, dass sie vergiftet waren, gewaschen.
Mena trat hinter Dariel, legte ihm die Hand auf die Schulter und flüsterte ihm ins Ohr: »Hat Aliver nicht das Antok getötet? Hat er nicht mit den Santoth gesprochen? Davor hat er einen Laryx zur Strecke gebracht. Vielleicht war in seinem Leben ja immer schon ein Zauber wirksam. Vertrau ihm, Dariel.«
Und dann war es so weit. Aliver stand mit nacktem Oberkörper vor seinem Gegner, nur mit dem knielangen Rock eines talayischen Läufers bekleidet, der Dolch in seiner Hand wie ein Eissplitter. Maeander trug eine dünne Thalba, durch die die Konturen seiner muskulösen Brust und seines Bauchs hindurchschimmerten. Sein Dolch war kürzer als Alivers und an der Spitze leicht gebogen, die Klinge wirkte dunkler. Aliver sagte etwas. Maeander machte erst ein verdutztes Gesicht, dann schien er zu verstehen und ihm zu antworten.
Dariel hörte ihre Unterhaltung nicht. Das, was folgte, sah er von einem seltsamen, stillen Ort aus mit an, ohne sich seines Körpers im Mindesten bewusst zu sein; er hörte nichts mehr und nahm nur noch wahr, was der grelle Sonnenschein hervorhob. Er sah, wie die beiden Männer einander umkreisten. Mit flüchtigen Vorstößen und Paraden
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