Acacia 01 - Macht und Verrat
Antoks, aus einem Brief, der am Bein eines Vogels gereist und mindestens einen ganzen Tag alt war.
Maeander schrieb, die Antoks hätten dem Gegner zwar schwere Verluste zugefügt, den Schlachtverlauf aber nicht entscheidend beeinflusst. Sie seien nicht so unbesiegbar, wie sie gehofft hätten, außerdem sei Aliver anscheinend mit irgendeiner Zauberei im Bunde. Doch das mache nichts, schrieb Maeander, denn er verfolge noch einen anderen Plan. Einzelheiten teilte er nicht mit. Hanish würde erst dann erfahren, was er vorhatte oder wie es ausgegangen war, wenn weitere Botenvögel das Meer überquerten.
»Er schreibt in Rätseln«, bemerkte Hanish und reichte den Brief seinem Onkel.
Haleeven las ihn schweigend durch, dann schob er energisch das Kinn vor, als wollte er seinen Neffen daran erinnern, dass er sich um das Nächstliegende kümmern solle, nämlich um die Aufgaben, die im Palast auf sie warteten.
Obwohl er ständig an sie dachte, beabsichtigte Hanish, Corinn erst am Abend zu treffen. Dies teilte er ihr nicht mit; bestimmt wusste sie es schon. Jedes Mal, wenn er zurückkehrte, gab es zahllose Dinge zu erledigen, und diesmal hatte er noch mehr zu tun als sonst. Den Vormittag und den Nachmittag verbrachte er in seinem Arbeitszimmer, wo er alles durcharbeitete, was sich auf seinem Schreibtisch häufte. Militärberater informierten ihn über den Krieg in Talay und die überall im Reich aufflammenden Unruhen. Maeander hatte so viele Soldaten um sich geschart, dass für die Bewachung der Provinzen keine starken Kräfte mehr zur Verfügung standen. Ein Großteil der dort stationierten Truppen gehörte fremden Völkern an, und ihre Loyalität war zweifelhaft. Die Berater meinten, falls Maeander eine Niederlage erleiden sollte, werde es in Aushenia, Candovia und Senival zu offenen Aufständen kommen. Außerdem hatten sich die Numrek Maeander nicht angeschlossen. Sie seien einfach ferngeblieben und hätten auf Befehle nicht reagiert. Das könnte Böses bedeuten, dachte Hanish, doch er konnte sich nicht vorstellen, was die Numrek im Schilde führen sollten, und glaubte immer noch, dass sie verspätet auftauchen würden, nachdem sie irgendein Anliegen deutlich gemacht hatten.
Was ihm am meisten Sorge bereitete, war, dass Aliver sich als fähiger Schlachtenlenker erwies, der vielleicht mit Zauberei im Bunde stand. Damit war er eine Figur, um die sich Mythen spinnen ließen. Dass er eigenhändig das erste Antok getötet hatte, war ein großes Ärgernis. Die fahrenden Sänger würden im Laufe der Jahre grandiose Geschichten ersinnen, ungeachtet des Ausgangs der Schlacht. Am besten wäre es, wenn sie alle Akaran lebend gefangen nehmen könnten. Dann könnte er sie in den Straßen aller großen Städte des Reiches vorführen. Die Bevölkerung würde sie in Ketten sehen. Vielleicht würde das dem Mythos den Garaus machen. Die unbestreitbare Wahrheit besaß meistens diese Macht, wenn man ihr aufrichtig gegenübertrat.
Hanishs einziger Trost war, dass er sich noch nicht in Gefahr wähnte. Die Acacier mochten zwar glauben, sie machten Boden gut, doch ihre kleinen Siege bedeuteten nicht viel. Nach der Zeremonie würde es niemand mehr mit den Mein aufnehmen können. Aliver mochte sich irgendeines schwachen Zaubers bedienen, doch schon bald würde Hanish auf den im Laufe vieler Generationen angestauten Zorn seiner Ahnen zurückgreifen können. Vielleicht war das der Grund, weshalb die Gilde sich zurückgezogen hatte. Sollte sie ruhig eine Weile zittern. Vielleicht würden die Ahnen ja die Zügel der Welt in ihre neu belebten Hände nehmen. Er wünschte es sich. Sollten sie nur in den Provinzen wüten und sie zurückerobern; sollte Sire Dagon vor ihnen stehen und versuchen, die Muskeln spielen zu lassen. Hanish würde sich mit Freuden ausruhen und sich bemühen, zu vergessen, was immer er würde vergessen müssen.
Als es allmählich Abend wurde, wanderten seine Gedanken immer häufiger zu Corinn, sodass er sich schließlich erhob und Berater und Sekretäre entließ. Er bat Haleeven, mit ihm den Ort zu inspizieren, wo die Zeremonie stattfinden sollte. Anschließend würde es ihm endlich freistehen, Corinn aufzusuchen und eine letzte Nacht mit ihr zu verbringen.
Den Bau der Kammer hatte er gegen Ende seines ersten Jahres in Acacia begonnen. Es war ein gewaltiges Vorhaben gewesen, das weitgehend im Geheimen durchgeführt worden war. Viel Erdreich hatte dabei bewegt werden müssen. Die Arbeiter hatten sich unmittelbar unterhalb des
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