Acacia 01 - Macht und Verrat
versuchten sie, sich ein Bild von den Stärken und Schwächen des Gegners zu machen. Maeanders schmale Lippen lächelten und scherzten und gaben einen Strom von Bemerkungen von sich, von denen Dariel kein Wort hörte. Er sah zu, wie Maeander so plötzlich wie eine Kobra zum Angriff überging. Aliver schnellte vor dem Stoß hoch, ein Satz, der ihn über Maeanders Kopf hinwegtrug, und stieß dabei zu. Maeander, noch immer schlangengleich, bog sich nach hinten; seine Schultern berührten den Boden, noch während seine Beine ihn unter Aliver hindurch in Sicherheit brachten.
Bei jeder anderen Gelegenheit wäre Dariel von diesen Manövern hingerissen gewesen, doch die beiden Kämpfer hielten nicht einmal inne, um zur Kenntnis zu nehmen, was zwischen ihnen vorgefallen war. Sie umkreisten einander, stachen zu. Die Dolche prallten gegeneinander. Als sie sich wieder trennten, versetzte Aliver Maeander einen Schnitt am Fingerknöchel. Das Tempo steigerte sich. Die beiden Männer waren verschwommene Schemen, die umeinander herumglitten, angriffen, sich zurückzogen und so schnell umherwirbelten, dass das Auge ihnen kaum noch zu folgen vermochte. Jemand verletzte seinen Gegner an der Schulter. Einer stürzte und musste hastig auf allen vieren seitwärtskriechen. Dariel glaubte, es sei Aliver, doch im nächsten Moment war Aliver in der Luft über der Staubwolke, drehte sich wie ein tödlicher Akrobat, und die Klinge durchschnitt am Ende des Bogens die Luft.
Während er ihm zusah, verspürte Dariel ein erstes Aufkeimen der Hoffnung. Aliver war gesegnet. Wie sonst konnte er jedem Angriff Maeanders zuvorkommen, schneller sein als er, exakter, artistischer und seine Angriffe so kunstvoll durchführen, dass Dariel sich unwillkürlich die Figur vorstellte, die eines Tages daraus werden würde. Ja, genau das war es. Er sah zu, wie eine Figur geschaffen wurde... Mena hatte recht gehabt; hier musste Zauberei am Werk sein. Und auch Aliver hatte recht; er würde den Kampf im Namen seines Vaters gewinnen. Er würde das Duell beenden, das vor Jahren begonnen hatte.
Und dann sah Dariel, wie es geschah. Einen Augenblick lang nahm sein Verstand nur die Einzelheit wahr, die Szene selbst in grellen Farben, eine Sekunde ging in die nächste über, ohne die Bedeutung dessen zu erfassen, was er sah. Aliver hatte sich unter Maeanders vorstoßendem Dolch hindurchgeduckt und Brust- und Schultermuskeln angespannt, um Maeander den Bauch aufzuschlitzen, wie er es bei dem Antok getan hatte. So hätte es jedenfalls geschehen sollen. Was wirklich passierte, war etwas anderes.
Maeander sprang hoch, ein gewaltiger Ruck ging durch seine Schenkel- und Wadenmuskeln, selbst die Zehen spannten sich an. Aliver richtete sich auf, während seine Klinge so dicht über Maeanders Bauch fuhr, dass Dariel schon meinte, sie müsse ihm die Thalba zerfetzen. Auch er stieg empor, wollte mit dieser Bewegung den Kampf beenden, wollte es so sehr, dass er all seine Konzentration darauf richtete, des Gegners Fleisch zu durchstoßen. Was er vergaß, war das Messer in Maeanders ausgestreckter Hand, hinter seinem Kopf, als dessen Arm auf Alivers Schulter zu liegen kam. Als ihm Maeander die Spitze der Klinge über den Nacken zog, war Aliver noch immer ganz auf seinen eigenen Angriff konzentriert.
Der Schock des Begreifens zeigte sich dann, doch es war zu spät. Maeander schnitt einen Halbmond von Alivers Nacken aus seitlich am Hals entlang, durch die Schlagader und bis unter das Kinn. Fast sanft fing er Alivers herumwirbelnde Gestalt auf und ließ ihn blutüberströmt zu Boden gleiten. Im nächsten Moment fuhr er hoch und wirbelte davon, reckte triumphierend Alivers Messer in die Luft, ohne den Tumult ringsumher zu beachten. Es war, als habe Maeander dies alles in Szene gesetzt.
Dariel stürzte inmitten einer Menschentraube auf Aliver zu. Er musste stoßen und andere aus dem Weg zerren und brüllte, ohne etwas zu hören, nicht einmal seine eigene Stimme. Er schob die Arme unter seinen Bruder, fühlte die warme Nässe, die entsetzliche Schlaffheit seines Körpers. Voller Angst, ihn noch mehr zu verletzen, bemühte er sich, behutsam zu sein, zu trösten, zu beruhigen. Er flüsterte dicht neben Alivers Schläfe. Der schlaff pendelnde Kopf war grauenhaft anzusehen. Dariel verfluchte sich wegen seiner Unbeholfenheit. Er überlegte, ob er ihn wieder hinlegen sollte, um es nicht schlimmer zu machen, doch dann wurde ihm klar, dass Mena ihm gegenüberhockte und Aliver auf die gleiche Weise
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