Acacia 02 - Die fernen Lande
Namen, und die Namen davor. Gridulan, ja?«
»Mein Großvater.«
»Genau der. Und Tinhadin und die alten Teufel auch. Wir kennen sie alle. Edifus.«
Dariel wand sich, versuchte eine Position zu finden, in der der Riemen um seine Brust ihn nicht so zusammenschnürte. Er merkte, dass seine Empörung bereits wieder verebbte, obwohl er nicht hätte sagen können, warum. »Du weißt viel über meine Familie, wie ich sehe. Ich weiß nichts von dir oder davon, wo ich hier bin, oder …«
»Du weißt überhaupt nichts!«, stellte Tunnel sichtlich erfreut fest. Offensichtlich hatte er es bereits vermutet, doch es schien ihn ziemlich froh zu stimmen, dass Dariel es bestätigte. »Du weißt gar nichts, und schau – du, ein Prinz! Könnte sein, dass du mehr als das bist. Könnte sein, dass du Rhuin Fá bist.«
»Roin Fah?«
Tunnel machte ein finsteres Gesicht, das allerdings nur weniger bedrohlich aussah als sein Lächeln. »Ist falsch, es so zu sagen. Rhuin Fá«, wiederholte er und sprach die Worte mit übertriebenen Lippen- und Zungenbewegungen überdeutlich aus. »Wir warten schon lange – und ich meine wirklich lange – auf Rhuin Fá.«
»Rhuin Fá … ist ein Mensch?«
»Vielleicht bist du es. Es ist der, der aus dem Alten Land kommen und die Welt auf den Kopf stellen wird. Ja, das sagen sie. ›Die Welt auf den Kopf stellen.‹ Kannst du das?« Tunnel setzte wieder sein entsetzliches Lächeln auf. »Angeblich kommt Rhuin Fá zu seinen Kindern. Holt sie nach Hause. Sagt ihnen, wie sehr er sie liebt. Verstehst du? Wir warten schon sehr lange. Generationen, verstehst du? Sie vergehen … und vergehen … und vergehen.« Tunnel wedelte ungeduldig mit den dicken Fingern, zeigte diese vergehenden Generationen an. »Und die ganze Zeit hoffen wir auf Rhuin Fá. Die ganze Zeit glauben wir, dass er kommt, weil wir wissen, dass er nicht für immer so weitermachen kann.« Er lehnte sich zurück, spitzte die Lippen und blinzelte, wobei er ein Auge fast ganz zudrückte. »Du weißt, dass es falsch ist, oder? Was sie all uns Kindern angetan haben. Deswegen musst du es auf den Kopf stellen.«
Irgendwie – wenn auch diffus und vage und unvollständig – wusste Dariel, welches Verbrechen Tunnel meinte. »Ich weiß, dass es falsch ist«, gab er zu. Er spürte, wie weitere Worte in seiner Kehle hochstiegen und auf seine Zunge glitten. Erklärungen. Einschränkungen. Er war so lange unwissend gewesen. Er hatte den Quotenhandel geerbt. Auch er war ein Kind gewesen. Das Verbrechen war nicht das seine, aber es war ihm aufgedrängt worden. Er hätte eine Menge Dinge sagen können. Es war ja nicht so, als ob er das alles nicht mit Aliver und Mena und Wren besprochen hätte, mit allen, die ihm nahestanden – außer mit Corinn. Bei ihr schien das Thema gefährlicher zu sein; zu gefährlich, als dass er sich dafür bereit gefühlt hatte. Er hätte eine Menge sagen können. Stattdessen schluckte er die Worte hinunter, weil ihm klar war, dass er noch nicht genug über diese Welt wusste, um irgendetwas mit Gewissheit sagen zu können.
»Bin ich dein Gefangener? Was wirst du mit mir machen? Und die anderen. Was ist mit ihnen …«
»Du bist nicht mein Gefangener. Mór ist diejenige. Sie kommt bald, um mit dir zu sprechen.« Zwar hatte er Dariel geantwortet, gab jedoch durch nichts zu verstehen, dass er an weiteren Fragen interessiert war. Stattdessen sagte er: »Ich soll dich etwas fragen. Ich frage, du antwortest. Die Geschichte sagt, es ist so. Die Geschichte sagt, wenn Rhuin Fá kommt, stell ihm diese Frage. Dann weißt du, ob er ist, wer er ist. Also lass mich dich fragen. Hier ist die Brücke; gehst du unter ihr durch oder über sie hinweg? Welchen Weg nimmst du?«
»Eine Brücke? Was für eine Brücke?«
Tunnel zuckte die Achseln. Wartete.
Dariel starrte einen Augenblick lang ins Leere. »Über sie hinweg. Ich gehe über sie hinweg.«
»Das könnte passen.«
»Das könnte passen? Weißt du denn nicht, welche Antwort richtig ist?«
»Du weißt es«, sagte Tunnel. Er legte die Finger um einen seiner geschwungenen Hauer und zog daran. »Die Geschichte sagt es nicht. Glaubst du es? Die Geschichte erzählt es nicht. Vielleicht hast du richtig geantwortet. Ich glaube, wir werden es sehen, und zwar bald.«
Als Dariel sah, wie Tunnel an seinem Hauer zog und wie dieser Hauer direkt in seinen Unterkiefer eingelassen zu sein schien, schloss er die Augen. Er hatte eine Million Fragen. Wo sollte er anfangen? Und konnte er sie
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