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Acacia

Titel: Acacia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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sich, sodass die Spitze tief ins Deckholz eindrang, und dann, als die beiden Schiffe daran zerrten, streckte sie sich wieder. Zu beiden Seiten des Aufpralls riss der Nagel geborstene Balken hoch und schlug ein Loch, in dem mehrere Seeleute verschwanden. Der immer noch in einer Vorwärtsbewegung begriffene Haken riss einen Graben in die splitternden Decksplanken und Balken der Brigg. Die Ballan ruckte heftig, und ein paar Augenblicke lang brachte Sprotte kein Wort heraus. Das Schiff glich einem Lotsenfisch, der sich an einem tobenden Wal festgesaugt hatte. Er spürte, wie die Eisenspitze des Nagels sich an den Querbalken verfing, die unter der Wucht brachen. Mehrere Armbrustschützen wurden zwischen den beiden Schiffen zerquetscht; die Überlebenden brachten sich eilig aus ihren Angriffskörben in Sicherheit. Alles schön und gut, doch der Nagel würde nicht halten! Wenn er sich löste, bestand die Gefahr, dass sie durch den Ruck im aufgewühlten Kielwasser der Brigg kenterten.
    Nineas’ Stimme drang an Sprottes Ohr; der Steuermann wollte wissen, was sie tun sollten. Wie lauteten die Befehle? Sprotte hatte keine Befehle parat, doch seine momentane Unsicherheit blieb unbemerkt. Endlich fand der Haken Halt und blieb stecken. Die Ballan schien in ihrer neuen Lage so weit Frieden zu finden, dass die Männer sich wieder aufrichten konnten. Mehrere Gesichter wandten sich Sprotte zu, der ebenfalls auf die Beine sprang. Der nächste Befehl lag auf der Hand.
    »Entern!«, brüllte er. »Entern, entern, entern!«
    Es war gefährlich, über die tückischen Planken zu klettern, und sie schafften es auch nur deshalb, weil niemand sich den Kopf darüber zerbrach. Wie seine Männer handelte auch Sprotte, ohne zu denken. Er rannte, sprang und klammerte sich fest, alles so schnell, dass es zu einer einzigen zitternden Bewegung verschmolz. Es war ein eigenartiges Gefühl, die Füße auf das fremde Deck zu setzen. Alles in Sichtweite war, wie die Seiten des Rumpfes, mit dicker, glänzender weißer Farbe bedeckt. Sie überzog alle Konturen und selbst den kleinsten Vorsprung, als habe man das ganze Schiff in flüssiges Wachs getaucht und anschließend zum Trocknen aufgehängt. Sprotte und seine Männer blieben unvermittelt stehen, verwirrt von dem seltsamen Anblick. Dieser Zustand währte freilich nur kurz. Auf sie wartete Arbeit. Seeleute kamen ihnen entgegengestürmt. Bolzen zischten durch die Luft. Das Klirren zusammenprallender Schwerter brachte bereits Musik ins Getöse. Wahrscheinlich würde Blut fließen, zumindest ein paar Augenblicke lang, doch das war nun einmal das Geschäft von Seeräubern.
     
    Drei Tage später knirschten Sprottes Schritte über den mit weißen Muscheln bestreuten Weg, der vom Hafen in das Seeräuberdorf Weißhafen führte. Er ging an der Spitze seiner Besatzung, und mit jedem Schritt schlossen sich ihnen mehr Menschen an. Kinder lärmten und bestürmten sie mit Fragen. Nicht einmal die Hunde konnten ihre Begeisterung bezähmen. Ihr Held war siegreich und mit reicher Beute zurückgekehrt! Sprotte konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. So klein und zerlumpt diese Ansammlung von Menschen und Tieren auch sein mochte, genoss er es doch, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, wichtig zu sein, geliebt zu werden, die geröteten Gesichter junger Frauen zu sehen, die ihn voller Bewunderung anstrahlten. Diese Rolle fiel ihm leicht, doch er nahm sie trotzdem nicht als gegeben hin. Er mühte sich täglich, sie sich zu verdienen, damit Dovian stolz auf ihn war. Was das betraf, war er immer noch ein Junge, und Dovian war eine Vaterfigur, sogar noch größer als sein massiger Körper.
    Weißhafen war ursprünglich keine dauerhafte Siedlung gewesen. Obgleich das Dorf jetzt seit sechs Jahren bestand, hatte es immer noch etwas Behelfsmäßiges. Die Hütten waren luftige Konstruktionen, die man auf Erhebungen und in den Mulden der sandigen Landschaft errichtet hatte, mit Lücken zwischen den Holzbrettern und einfachen Dächern aus Palmwedeln. Die Wände waren häufig kaum mehr als ein Sichtschutz, der eine Andeutung von Abgeschiedenheit vermitteln sollte. Viele Bewohner kochten im Freien am offenen Feuer und ließen die Abfälle für die Hunde und die zahlreichen Katzen liegen. Die Siedlung machte den Eindruck, als könnte sie jederzeit aufgegeben werden, falls das Durcheinander unerträglich werden oder das Glück sie verlassen sollte. Allerdings hatte sie einen wundervollen Hafen. Er war ein wenig flach, doch der

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