Accelerando
scheiß auch auf Amber, die mich zu ihrem
öffentlichen Verteidiger ernannt hat…
»Seit wann bringen unsichtbare Männer Klagen vor?«,
fragt Donna, die Journalistin. Sie hat gewisse historische Dateien
der anderen raubkopiert und sich das Stückwerk heruntergeladen.
Jetzt tut sie so, als sei sie gerade aus dem Hinterzimmer
gekommen.
»Seit…« Pierre blinzelt. »Teufel noch
mal!« Zusammen mit Donna hat sich auch Aineko in die Bar
geschlichen. Vielleicht ist sie aber auch schon die ganze Zeit da.
Sie hat sich wie ein Brotlaib auf dem Tisch vor dem unsichtbaren Mann
ausgestreckt. »Sie unterbrechen die Kontinuität«,
beschwert sich Pierre. »Dieses Universum ist jetzt
kaputt.«
»Dann reparier’s doch«, fordert Boris ihn auf.
»Alle anderen kommen damit klar.« Er schnippt mit den
Fingern: »Kellner!«
»Tut mir Leid.« Donna schüttelt den Kopf. »Ich
wollte nichts kaputtmachen.«
Wie immer ist Ang versöhnlicher. »Wie geht es
Ihnen?«, fragt sie höflich. »Hätten Sie Lust,
diesen ausgezeichneten Gift-Cocktail zu kosten?«
»Es geht mir gut«, erwidert Donna, eine stämmig
gebaute Deutsche, blond und durch und durch muskulös, wenn man
dem Avatar glauben darf, den sie der Öffentlichkeit
präsentiert. Sie befindet sich mitten in einem Wirrwarr
unterschiedlicher Perspektiven – Kameraaufzeichnungen ihrer Society of Mind, die eifrig damit beschäftigt ist, die
unterschiedlichen Fäden zu entwirren und miteinander zu einem
endlosen Reisetagebuch zu integrieren. Als Informantin für das
Medien-Konsortium der CIA hat sie sich im selben Datenstrom auf das
Schiff heraufgeladen, mit dem auch die Klage eingegangen ist.
»Danke, Ang.«
»Zeichnen Sie auch jetzt auf?«, fragt Boris.
Donna schnaubt verächtlich. »Wann tue ich das
nicht?« Sie lächelt flüchtig. »Bin ja nur ein
Scanner, nicht wahr? Noch fünf Stunden bis zur Ankunft.
Vielleicht höre ich danach auf.«
Über den Tisch hinweg mustert Pierre Su Angs Hände. Ihre
Fingerknöchel sind so angespannt, dass sie weiß
hervortreten. »Ich muss, sofern möglich, vermeiden,
irgendetwas nicht mitzubekommen«, fährt Donna in der
umständlichen Ausdrucksweise einer Nicht-Muttersprachlerin fort,
ohne Angs Nervosität zu registrieren. »Derzeit gibt es acht
Ausgaben von mir! Und alle zeichnen sie auf.«
»Mehr nicht?« Ang zieht eine Augenbraue hoch.
»Nein, mehr nicht, und ich muss einen Job erledigen!
Erzählt mir bloß nicht, dass das, was ihr hier treibt,
euch keinen Spaß macht.«
»Stimmt, wir haben Spaß.« Pierre wirft erneut
einen Blick in die Ecke und vermeidet den Augenkontakt mit diesem
resoluten Möchtegern- Girl Friday. Er hat von Donna den
Eindruck, dass sie glatt Lieder schmettern würde, gäbe es
hier Hügel, die sie als Mutter der Trapp-Familie mit dem Sound of Music füllen könnte. »Hat Amber Sie
über den hier geltenden Verhaltenscode zum Schutz der
Privatsphäre aufgeklärt?«
»Es gibt hier einen solchen Code?« Donna richtet
mindestens drei ihrer persönlichen Agenten auf ihn, um ihn aus
irgendeinem Grund aufs Korn zu nehmen. Offenbar hat er ein Thema
angeschnitten, bei dem sie gemischte Gefühle hat.
»Ja, einen Code zum Schutz der Privatsphäre«,
bestätigt Pierre. »Keine Aufzeichnungen im Privatbereich,
keine Aufzeichnungen in der Öffentlichkeit, sofern Menschen
dagegen Einspruch erheben, keine Sandboxes und Cutups.«
Donna wirkt beleidigt. »So was würde ich doch nie tun!
Heimlich eine Kopie von jemandem in einem virtuellen Raum anzufangen,
um die Reaktionen aufzuzeichnen, wäre nach der im Ring geltenden
Rechtsprechung doch als Angriff zu werten, stimmt’s?«
»Hier ist Ihre Mutter«, sagt Boris spöttisch und
schwingt ein neues Glas mit eisgekühlter Killerqualle in Donnas
Richtung.
»Sie können’s tun, solange wir alle damit
einverstanden sind«, fahrt Ang, die auf Ausgleich aus ist,
dazwischen. »Wird sowieso bald alles geregelt sein, nicht
wahr?«
»Bis auf die Klage«, murmelt Pierre und blickt erneut
zur Ecke hinüber.
»Ich verstehe nicht, was daran problematisch sein soll«,
bemerkt Donna. »Das ist doch nur ’ne Sache zwischen Amber
und ihren Gegnern da unten!«
»Oh, es ist durchaus ein Problem«, entgegnet Boris in
lockerem Ton. »Wie viel sind Ihre Optionen wert?«
»Meine…« Donna schüttelt den Kopf. »Ich
besitze doch gar keine Anteile an dieser Sache.«
»Verständlich.« Boris schenkt ihr kein
Lächeln. »Trotzdem wird Ihr Vertrauensbonus gewaltig
wachsen, wenn wir nach Hause
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