Accelerando
zurückkehren. Vorausgesetzt, dass
die Leute immer noch das Ranking der Kreditwürdigkeit im Netz
dazu benutzen, die Stabilität ihrer Geschäftspartner
einzuschätzen.«
Keine Anteile. Leicht verblüfft lässt sich Pierre
das durch den Kopf gehen. Bis jetzt hat er angenommen, dass jeder an
Bord des Schiffes – vielleicht mit Ausnahme des Rechtsanwalts
Glashwiecz – Anteile an der Gesellschaft hat, die diese
Expedition durchführt.
»Ich besitze keine Anteile«, wiederholt Donna
nachdrücklich. »Bin hier als unabhängig
registriert.« Einen Augenblick lang verzieht sich ihr Gesicht
fast zu einem Lächeln, einem bezaubernd zurückhaltenden
Ausdruck, der nichts mit ihrem vorgespiegelten Äußeren
gemein hat. »Genau wie die Katze.«
»Die…« Hastig dreht Piere sich um. Ja, Aineko
scheint still am Tisch des Wicker Man zu sitzen; aber wer weiß,
was ihr gerade durch den von weichem Fell bedeckten Kopf geht? Ich
werde diese Sache mit Amber erörtern müssen, wird ihm
klar, und es ist kein angenehmer Gedanke. Ich muss es ihr
sagen… »Aber Ihr Ruf wird nicht darunter leiden, dass
Sie sich auf diesem Raumschiff befinden, nicht wahr?«, fragt er
laut.
»Mir wird deswegen nichts passieren«, erklärt
Donna, während der Kellner herüberkommt. »Ich
möchte eine Berliner Weiße von Schneider«, sagt sie
und fährt fast übergangslos fort: »Glauben Sie an die
Singularität?«
»Sie möchten wissen, ob ich ein fanatischer
Anhänger der Singularität bin?«, fragt Pierre,
während sich sein Gesicht zu einem starren Lächeln
verzieht.
»Oh, nein, nein, nein!«, winkt Donna ab, grinst breit
und nickt Su Ang zu. »So habe ich das nicht gemeint! Hören
Sie, was ich fragen wollte, ist Folgendes: Halten Sie das Konzept
einer Singularität für plausibel? Und falls ja: Wo findet
sie statt?«
»Soll das hier ein Interview werden, das für die
Öffentlichkeit gedacht ist?«, fragt Ang.
»Nun ja, ich kann Sie ja schlecht aus einer Simulation
herauszerren, Sie auf einen Ausflug in eine andere Simulation
mitnehmen und Sie dann dessen Realität aussetzen, nicht
wahr?« Während der Kellner Donna einen Bierkrug hinstellt,
lehnt sie sich zurück.
»Oh, nun ja.« Ang wirft Pierre einen warnenden Blick zu
und übermittelt ihm eine sehr persönliche Botschaft ins
Sichtfeld: Spiel nicht mit ihr, hier geht es um ernsthafte Dinge. Boris beobachtet Ang mit einer Miene hoffnungslosen Verlangens,
während Pierre das alles zu ignorieren versucht, um die Frage
der Journalistin ernsthaft zu beantworten. »Mit der
Singularität ist es ein bisschen wie mit dem alten
Erlösungsunsinn der amerikanischen Christen, nicht wahr? Ich
meine die Vorstellung, dass wir alle in den Himmel fliegen und unsere
Körper zurücklassen.« Er rümpft die Nase, greift
in die dünne Luft und verletzt ohne zwingenden Grund das
Kausalitätsgesetz, indem er einen Krug mit eiskalter Sangria
herbeizaubert. »Der Erlösungsunsinn der IT-Besessenen
– darauf trinke ich.«
»Aber wann hat die Singularität stattgefunden?«,
fragt Donna. »Mein Publikum wird Ihre Meinung dazu hören
wollen.«
»Vor vier Jahren, als wir dieses Raumschiff in die Welt
gesetzt haben«, erwidert Pierre prompt.
»Nach 2010«, sagt Ang. »Als Ambers Vater die
heraufgeladenen Hummer freigesetzt hat.«
»Sie hat noch gar nicht stattgefunden«, steuert Boris
bei. »Singularität impliziert, dass sich unverzüglich
ein unbegrenzter Wandel vollzieht. Danach können Wesen, die aus
der Zeit vor der Singularität stammen, die Zukunft nicht mehr
vorhersagen, stimmt’s? Also hat sie noch gar nicht
stattgefunden.«
»Au contraire. Sie hat sich am 6. Juni 1969 um elf Uhr
vormittags nach Ostküsten-Standardzeit vollzogen«,
widerspricht Pierre. »Zu diesem Zeitpunkt wurden die ersten
Datenpakete mit Protokollen zur Netzwerksteuerung vom Port eines IMP
zum anderen geschickt; es war die erste Internet-Verbindung, die
jemals hergestellt wurde. Das bedeutet Singularität.
Seitdem leben wir alle in einem Universum, das nach den Ereignissen,
die vor diesem Zeitpunkt lagen, unmöglich vorauszusagen
war.«
»So ein Quatsch«, widerspricht Boris. »Die
Singularität ist nichts als religiöser Unsinn. Mystische
christliche Erlösungsvorstellungen, die atheistische Nerds
recycelt haben.«
»Stimmt doch gar nicht.« Su Ang wirft ihm einen
verletzten Blick zu. »Denk doch nur an uns, mehr als sechzig
menschliche Intelligenzen, die im Wachzustand direkt aus ihren
Körpern ausgewandert sind, kraft unserer eigenen
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