Accelerando
sie bis auf einen schmalen Gürtel
um die Ebene der Ekliptik herum gänzlich umhüllt.
Sonnenlicht fällt unverändert auf die inneren Planeten.
Eine Ausnahme stellt nur Merkur dar: Er existiert nicht mehr. Man hat
ihn völlig auseinander genommen und in
Hochtemperatur-Nanocomputer umgewandelt, die von Sonnenenergie
gespeist werden.
Viel greller ist das Licht, das auf Venus fällt. Mittlerweile
ist der Himmelskörper von glänzenden Gebilden umgeben: Es
sind Kohlenstoffkristalle, die den Planeten, der sich kaum dreht, mit
Drehimpuls versorgen, und zwar mittels riesiger supraleitender
Spulen, die sich um seinen Äquator winden. Auch diesen Planeten
wird man demnächst demontieren.
Jupiter, Neptun, Uranus: Allesamt sind sie von Ringen umgeben, die
ebenso eindrucksvoll sind wie die des Saturns. Aber das Ausschlachten
dieser Gasriesen wird sehr viel mehr Zeit in Anspruch nehmen als der
Abbau der kleinen steinernen Himmelskörper im inneren
System.
Die zehn Milliarden Bewohner dieses radikal veränderten
Sternsystems wissen noch, dass sie Menschen sind; fast die
Hälfte von ihnen ist vor der Jahrtausendwende geboren. Manche
von ihnen sind tatsächlich noch menschlich, unberührt vom
Schwung der umfassenden Evolution, die an die Stelle des blinden, von
Darwin untersuchten Wandels den zielgerichteten, teleologischen
Fortschritt gesetzt hat. In bewachten Gemeinschaften und Bergfesten
hocken sie beieinander, murmeln Gebete und verfluchen die Gottlosen,
die die natürliche Ordnung der Dinge durcheinander bringen. Doch
acht von zehn lebenden Personen sind vom Wandel dieser Epoche
betroffen. Es ist die umfassendste Revolution in der condition
humaine seit Entdeckung der Sprache.
Millionenfache Ausbrüche von gray goo, grauem Schleim
– es sind von Nanoreplikatoren erzeugte Entartungen, die
verrückt spielen – drohen die Temperatur der Biosphäre
dramatisch ansteigen zu lassen. In Zaum gehalten wird die Katastrophe
von dem planetenweiten Abwehrsystem, das die ehemalige
Weltgesundheitsorganisation entwickelt hat.
Noch bizarrere Katastrophen bedrohen die Boson-Fabriken in der
Oort-Wolke. Über den Solarpolen schweben Produktionsanlagen
für Antimaterie. Das Sonnensystem zeigt alle Symptome einer
außer Kontrolle geratenen Intelligenz und weist eine Fülle
von Mängeln auf, die bei einer auf Technologie basierenden
Zivilisation so normal sind wie Akne bei pubertierenden Jungs.
Die Wirtschaftsstrukturen des Planeten haben sich bis zur
Unkenntlichkeit gewandelt. Die ewig nörgelnden Ausgeburten einer
Weltanschauung, die von industriellen Strukturen geprägt war
– der Kapitalismus und der Kommunismus –, sind mausetot, so
überholt wie Könige von Gottes Gnaden. Aber die
Wirtschaftsunternehmen leben noch, und auch tote Menschen lassen sich
wieder zum Leben erwecken. Neben globalen Strukturen sind auch
Stammesstrukturen vollständig entwickelt, sodass sich die
Wirtschaft entsprechend aufgespaltet hat: Neben homogenen und
miteinander verflochtenen Unternehmen existieren auch solche Gebilde,
die innerhalb des Schwarzschild-Radius der Isolation operieren.
Wesen, die immer noch wissen, dass sie Menschen sind, planen die
Demontage des Jupiters. Sie wollen einen großen Simulationsraum
schaffen und damit die innerhalb des Sonnensystems verfügbaren
Besiedlungsmöglichkeiten ausdehnen. Indem sie alle
nicht-stellare Masse des Sonnensystems in Prozessoren umwandeln,
können sie dort so viele menschenartige Intelligenzen
unterbringen wie eine Zivilisation, die auf den Planeten rund um
jeden Stern der Galaxie jeweils 10 Milliarden Bewohner angesiedelt
hat.
Eine reifere Version von Amber lebt in dem vorwärts
drängenden Chaos der Raumregion nahe bei Jupiter. Dort gibt es
auch ein Ebenbild von Pierre, allerdings hat er sich mittlerweile,
Lichtstunden von Amber entfernt, in der Nähe des Neptuns
angesiedelt. Ob Amber manchmal noch an ihren relativistischen
Zwilling denkt, kann niemand sagen. In bestimmter Hinsicht spielt das
auch keine Rolle, denn wenn die Field Circus schließlich
in die Umlaufbahn des Jupiters zurückkehrt, wird für die
Schnelldenker zu Hause, subjektiv gesehen, genau so viel Zeit
vergangen sein, wie sie im realen Universum zwischen dem jetzigen
Augenblick und dem Abschluss der Sternenbildung – Milliarden von
Jahren in der Zukunft – verstreicht.(/E)
»Als Ihr Theologe kann ich Ihnen verraten, dass das alles
anderes als Götter sind.«
Amber nickt geduldig, während sie Sadeq, der jetzt
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