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Accelerando

Accelerando

Titel: Accelerando Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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zu haben, und bekommt ein
mulmiges Gefühl. »Ich muss noch mehr darüber
herausbekommen. Irgendetwas in meinem Bericht hat die falschen Leute
alarmiert. Oder jemand hat nicht dicht gehalten, was den Austausch
der Koffer betrifft. Ich wollte, dass die Eilbotschaft bei solchen
Leuten ankommt – wem auch immer –, die ein funktionierendes
System staatlicher Planung brauchen. Sie war nicht als Einladung dazu
gedacht, mich zu erschießen.«
    »Na dann.« Annette gibt ihn frei. »Tu deine Arbeit.
Ich bin da, wenn du mich brauchst«, setzt sie kühl
hinzu.
    Ihm ist klar, dass er sie verletzt hat, allerdings sieht er keine
Möglichkeit, ihr zu erklären, dass das nicht seine Absicht
war, ohne sich selbst noch tiefer hineinzureiten. Also isst er sein
Croissant auf und gibt sich einem dieser unvermeidlichen Anfälle
hektischer Interaktion hin. Während seine Brille aus der Tiefe
des Netzes Informationen fischt und sie direkt in seinen Schädel
schleust – sie benutzt dazu den Kanal mit der höchsten
Bandbreite, der derzeit verfügbar ist –, zucken seine
Finger über unsichtbare Tasten und die Augäpfel hin und
her.
    Eines seiner E-Mail-Konten reicht schon halbwegs zum Mond, so
viele automatische Mitteilungen haben sich dort angesammelt. Von
Firmen, die Namen haben wie agalmic.holdings. root.8E.F0 und
ihren kommissarischen Leiter dringend erreichen möchten. Jede
dieser Gesellschaften – gegenwärtig sind es mehr als
sechzehntausend, aber es kommen täglich weitere hinzu – hat
drei Direktoren und leitet drei weitere Gesellschaften. Alle
Gesellschaften verfassen ihre Texte in einer funktionalen Sprache,
die Manfred erfunden hat. Die Leiter sagen ihnen, was zu tun ist, und
diese Instruktionen enthalten auch Anweisungen zur Weiterleitung an
die Tochtergesellschaften. Eigentlich besteht das Netzwerk aus einer
Gruppe zellularer Automaten, die den Zellen in Conways Game of
Life ähneln, nur sind sie viel komplexer und arbeiten
wirkungsvoller.
    Manfreds Gesellschaften bilden ein programmierbares Raster. Manche
verfügen über Kapital, und zwar in Form von Patenten, die
Manfred angemeldet und danach delegiert hat, anstatt sie einer der
freien Stiftungen zu überlassen. Andere Gesellschaften betreiben
im engeren Sinne keinen Handel, sondern erfüllen
Führungsrollen. Alle körperschaftlichen Aufgaben wie zum
Beispiel Buchhaltung oder die Wahl neuer Leiter werden zentral
über die von Manfred erarbeitete Rahmenstruktur zur
Betriebsführung erledigt, während der Handel über
mehrere der bekannteren Business-to-Business-Netzwerke läuft.
Intern führen die Gesellschaften andersartige, eher obskure
Berechnungen zum Lastenausgleich durch, beispielsweise bearbeiten sie
Probleme der Ressourcenverteilung wie ein klassisches System
staatlicher Zentralplanung. Allerdings erklärt das alles nicht,
warum volle fünfzig Prozent der Gesellschaften in den letzten
zweiundzwanzig Stunden mit Klagen überhäuft wurden.
    Die Klagen folgen einem… Zufallsprinzip, jedenfalls ist dies
das einzige Muster, das Manfred erkennen kann. Einige machen
Verletzungen des Patentrechts geltend. Die würde Manfred ernst
nehmen, wäre da nicht die Tatsache, dass etwa ein Drittel der
Beklagten reine Verwaltungsgesellschaften sind, die eigentlich gar
nichts tun, was öffentlich sichtbar wird. Andere Klagen machen
Missmanagement geltend, aber der Rest enthält nur eine Unmenge
bizarrer Behauptungen und haltlosen Blödsinn. Es sind Klagen
wegen unberechtigter Entlassung von Angestellten oder Diskriminierung
aufgrund des Alters – und das bei Gesellschaften, die
überhaupt keine Arbeiter oder Angestellten beschäftigen!
–, ferner Klagen wegen rücksichtslosen Handelsgebarens
– und eine behauptet sogar, die Beklagte benutze (in Absprache
mit dem japanischen Premierminister, der kanadischen Regierung und
dem Emir von Kuwait) in der Umlaufbahn stationierte Laser zur
Gedankenkontrolle und bringe den Chihuahua der Klägerin auf
diese Weise dazu, bei Tag und bei Nacht ständig zu bellen.
    Manfred seufzt und führt hastig eine Kalkulation durch.
Derzeit geht alle sechzehn Sekunden eine Klage bei einer seiner
Gesellschaften ein, während in den vergangenen sechs Monaten
keine einzige Klage erhoben wurde. Noch ein Tag, dann ist er lahm
gelegt. Wenn das Spielchen eine weitere Woche anhält, wird es
jedes Gericht in den USA lahm legen. Irgendjemand hat eine Methode
gefunden, mit Klagen so umzugehen wie er selbst mit Firmen – und
hat ihn zur Zielscheibe erkoren.
    Zu

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