Accelerando
Dimension die Vertrauenskrise auf dem Reputationsmarkt
angenommen hat. Danach ab nach Rom. Stattdessen schleppt Annette ihn
in ihr Apartment, eine geräumige Etagenwohnung, die ganz
versteckt hinter einer Passage im Bezirk Marais liegt. Sie platziert
ihn an die Frühstückstheke, während sie sein
Gepäck verstaut. Danach fordert sie ihn auf, die Augen zu
schließen, und gibt ihm zwei seltsam schmeckende Kapseln zu
schlucken. Als Nächstes füllt sie zwei große
Gläser mit eiskaltem Aquavit, der genau wie polnisches
Roggenbrot schmeckt. Nachdem sie die Gläser geleert haben,
reißt sie ihm geradezu die Kleider vom Leib. Manfred ist fast
schockiert, als er merkt, dass er eine knallharte Erektion hat. Nach
dem letzten höllischen Streit mit Pamela hatte er das
unbestimmte Gefühl, jedes Interesse an Sex verloren zu haben.
Aber nein, sie landen inmitten abgelegter Kleidungsstücke auf
dem Sofa. Annette ist sehr konservativ: Sie vollzieht den
Geschlechtsakt am liebsten nackt und mit Penetration, ein Relikt des
vergangenen Jahrhunderts, und steht nicht so auf den derzeit
angesagten raffinierten Fetisch-Sex.
Noch verblüffter ist Manfred, als er danach merkt, dass sein
Glied immer noch geschwollen ist. »Liegt das an den
Kapseln?«, fragt er.
Sie legt den muskulösen, aber schlanken Oberschenkel
über seine Hüfte, greift nach seinem Penis und drückt
ihn. »Ja. Ich glaube, du brauchst viel spezielle
Unterstützung, um dich zu lockern.« Erneut drückt sie
sein Glied. »Es sind Methadon-Kristalle und ein gutes altes
Potenzmittel, ein Phosphodiesterase-Hemmer.«
Er umfasst eine ihrer kleinen Brüste und kommt sich dabei
sehr roh und primitiv vor. Nackt. Er ist sich nicht sicher, ob
Pamela je zugelassen hat, dass er sie völlig nackt sieht. Sie
war immer der Ansicht, dass Haut reizvoller wirkt, wenn sie
verhüllt ist.
Als Annette seinen Penis massiert, wird er steif. »Mach
weiter!«
Nachdem sie sich nochmals geliebt haben, tut ihm alles weh. Sie
zeigt ihm, wie man das Bidet benutzt. Alles ist glasklar und ihre
Berührung elektrisierend. Während sie duscht, bleibt er auf
der geschlossenen Toilette sitzen und schwadroniert: davon, dass die
Entwicklung der Unternehmen zwangsläufig dahin gehen muss,
Programmiersprachen und logische Systeme einzusetzen, die in ihrer
Kapazität einer universellen Turing-Maschine entsprechen und die
Berechnungen jedes anderen Computers nachvollziehen können.
Das müsse als Teil des Gesellschaftsrechts zum Standard
erhoben werden. Er spricht über zellulare Automaten, genetische
Algorithmen und das Problem von Tests mit nicht-stationären
Funktionen, mit den blind non-stationary knapsacks, sowie
über seine Bemühungen, das Problem, das die Kommunisten mit
zentralen Planungen hatten, dadurch zu lösen, dass ein Netzwerk
ineinander greifender Unternehmen genutzt wird, welches ohne
menschliches Personal auskommt. Außerdem redet er über die
drohende Baisse auf dem Reputationsmarkt, über die Unheil
verkündende ’Wiederauferstehung der Musikindustrie mit
ihren Studioverträgen und Lizenzvergaben und über die immer
noch drängende Notwendigkeit, den Mars zu demontieren.
Als sie aus der Dusche kommt, erzählt er ihr, dass er sie
liebt. Daraufhin küsst sie ihn, nimmt ihm Brille und
Kopfhörer ab, sodass er wirklich nackt ist, setzt sich
auf seinen Schoß, fickt ihm (wieder mal) das letzte bisschen
Grips aus dem Hirn und flüstert ihm ins Ohr, dass sie ihn liebt
und managen möchte. Danach führt sie ihn ins Schlafzimmer,
sagt ihm genau, was er anziehen soll, kleidet sich selbst an und
reicht ihm einen Spiegel. Auf dem Spiegel liegt weißer Staub,
den er sich reinzieht.
Nachdem sie ihn nach ihren Wünschen herausgeputzt hat,
brechen sie auf, um diese Nacht in diversen Clubs durchzufeiern;
Annette trägt einen Smoking, Manfred eine blonde Perücke,
ein schulterfreies rotes Seidenkleid und Schuhe mit hohen
Absätzen. Als er irgendwann in den frühen Morgenstunden den
Kopf erschöpft an ihre Schulter kuschelt – sie tanzen den
letzten Tango in einem SadoMaso-Club, der in der Rue Ste-Anne liegt
–, wird ihm klar, dass er tatsächlich auch bei anderen
Frauen als Pamela Lust empfinden kann.
Aineko weckt Manfred, indem sie mit dem Kopf mehrmals seine linke
Schläfe anstupst. Ächzend kommt er zu sich, versucht die
Augen zu öffnen und stellt fest, dass er im Mund einen fauligen
Geschmack hat, die Haut fettig von Make-up ist und der Kopf pocht.
Irgendwo hämmert jemand. Als Aineko
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