Accelerando
fragt er und deutet auf den
Volume Renderer, der quietschend etwas ausfährt, das dem
Fiebertraum eines fahrenden Uhrmachers entsprungen zu sein scheint.
Es sieht wie ein Festplattenlaufwerk aus, das mit einer Schwungfeder
ausgerüstet ist.
»Oh, das ist nur eines von Johnnys Spielzeugen, ein
mikromechanischer digitaler Phonograph. Früher hat Johnny
Rechenmaschinen à la Babbage für das Pentagon entworfen
– getarnte Computer. Ohne Van-Eck-Strahlung, wissen Sie. Schauen
Sie mal.« Vorsichtig zieht er ein gebundenes Buch aus dem Regal
mit den veralteten Datenträgern und zeigt Manfred den
Rücken. »On the Theory of Games von John von
Neumann. Persönlich signierte Erstausgabe seines Buches zur
Spieltheorie.«
Aineko maunzt und übermittelt Manfreds linkem Auge jede Menge
verwirrender purpurroter finite-state- Automaten,die Reihen
von Input-Ereignissen entsprechende Folgen von Output-Ereignissen
zuordnen. Das Buch fühlt sich so verstaubt und verwittert an,
dass Manfred darauf achtet, die Seiten äußerst behutsam
umzublättern. »Diese Ausgabe gehörte zur
persönlichen Bibliothek von Oleg Kordiowski. Oleg hat Glück
gehabt: Er hat das Buch 1952 während eines Aufenthalts in New
York gekauft, und das MVD, das sowjetische Innenministerium, hat
erlaubt, dass er es behält.«
»Er muss…« Manfred stockt, da er gerade weitere
historische Daten und Zeitabläufe empfängt. »Hat er
GosPlan angehört, dem sowjetischen Komitee für
Wirtschaftsplanung?«
»Ganz richtig.« Gianni lächelt verkniffen.
»Das war zwei Jahre, bevor das Zentralkomitee Computer als
pseudo-wissenschaftliches bourgeoises Abweichlertum brandmarkte, das
darauf abziele, dem Proletarier seine Menschlichkeit zu nehmen. Aber
schon damals hat man dort erkannt, welches Potenzial in Robotern
steckt. Eine Schande, dass die Leute den Compiler oder das Internet
damals noch nicht vorhergesehen haben.«
»Ich weiß nicht, warum das so wichtig sein soll. Damals
konnte doch sicher überhaupt niemand damit rechnen, dass man
innerhalb von fünfzig Jahren in der Lage sein würde, das
größte Hindernis auf dem Weg zur Abschaffung des
privatwirtschaftlichen Kapitalismus zu beseitigen?«
»Da haben Sie Recht. Aber seit den 1980er Jahren wäre es
tatsächlich schon prinzipiell möglich gewesen, das Problem
der Zuteilung von Ressourcen mit Hilfe von Algorithmen und Computern
zu lösen – dann hätte man keinen Markt mehr gebraucht.
Märkte sind Verschwendung: Sie lassen so viel Konkurrenz zu,
dass vieles auf dem Müllhaufen landet. Also, warum hält man
daran fest?«
Manfred zuckt die Achseln. »Sagen Sie’s mir. Aus einer
konservativen Haltung heraus?«
Gianni klappt das Buch zu und stellt es ins Regal zurück.
»Märkte gewähren den Beteiligten die Illusion freien Willens, mein Freund. Sie werden feststellen,
dass Menschen es nicht mögen, zu etwas gezwungen zu werden,
selbst wenn es in ihrem ureigenen Interesse liegt. Eine gelenkte
Wirtschaft kommt nicht umhin, Zwang auszuüben –
schließlich ist das Steuern wirtschaftlicher Vorgänge ihr
Wesensmerkmal.«
»Aber für mein System gilt das nicht! Es vermittelt den
Warenstrom ja nur, sagt aber nicht, wer was zu produzieren
hat…«
Gianni schüttelt den Kopf. »Es spielt keine Rolle, ob
sich die Kette nach hinten oder nach vorne erstreckt: Es handelt sich
dennoch um ein Expertensystem, mein Freund. Ihre Firmen
benötigen keine Menschen, und das ist auch gut so, allerdings
dürfen sich diese Firmen auch nicht anmaßen, die
Aktivitäten menschlicher Wesen steuern zu wollen. Denn wenn sie
das tun, machen Sie die Leute nur zu Sklaven eines abstrakten
Apparats, wie die Diktatoren es in der Geschichte der Menschheit
ständig getan haben.«
Manfreds lässt den Blick über die Bücherrücken
gleiten. »Aber der Markt selbst ist doch ein abstrakter Apparat,
dazu noch ein miserabler! Ich selbst habe mich weitgehend davon
befreit – doch wie lange noch wird er Menschen
unterdrücken?«
»Vielleicht nicht so lange, wie Sie befürchten.«
Gianni nimmt neben dem Renderer Platz, der im Augenblick die Mühle genannte Recheneinheit der analytischen Maschine
ausspuckt. »Schließlich sinkt der Mindestwert des Geldes:
Je mehr man davon hat, desto weniger bedeutet es einem. Wir stehen an
der Schwelle zu einer Phase anhaltenden Wirtschaftswachstums. Wenn
man den Prognosen des Europäischen Wirtschaftsrates trauen darf,
wird es im Jahresdurchschnitt künftig mehr als zwanzig Prozent
betragen. Die letzten Reste der
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