Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Accelerando

Accelerando

Titel: Accelerando Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
Vom Netzwerk:
ein Gedanke durch den Kopf.
»Ah, Sie sind alle Teile eines einzigen Verstandes? Wenn ich
Ihnen eine Frage stelle, stelle ich sie allen?«
    »Kann passieren«, sagen Monika und dieser andere
Körper namens Alan wie aus einem Munde. Alan steht an der
Tür und hat ein unförmiges Ding in der Hand, das wie ein
behelfsmäßiges Diagnosegerät aussieht. »Auf was
wollen Sie hinaus?«, fragt Alans Körper.
    Manfred, der auf dem Bett liegt, stöhnt. Ein Zischen ist zu
hören: das rosafarbene Rauschen der Brille, die ihm etwas ins
Ohr flüstert, wobei die Ohrknöchelchen die Nachrichten
unablässig an seine Wetware weiterleiten.
    »Manfred wurde ’ierher geschickt, damit er
’erausfindet, warum Sie gegen das Gleichberechtigungsgesetz
sind«, erklärt Annette. »Manche Teile unseres Teams
agieren ohne Kenntnis der anderen.«
    »Aha.« Alan nimmt auf dem Stuhl neben dem Bett Platz,
räuspert sich und wirft sich arrogant in die Brust. »Das
ist eine sehr wichtige theologische Frage. Ich habe das
Gefühl…«
    »Ich oder wir?«, unterbricht ihn Annette.
    »Wir haben das Gefühl«, gibt Monica scharf
zurück und sieht gleich darauf Alan an.
»Ent-schul-di-gung.«
    Das Anzeichen von Individualität innerhalb des kollektiven
Verstandes beunruhigt Annette. Sie hat sich die Vorstellungen des
Borganismus so oft vor Augen gerufen, dass sie inzwischen bestimmte
Vorurteile pflegt. Und der quasi-religiöse Glaube des Kollektivs
an eine Singularität lässt sie kalt. »Bitte fahren Sie
fort.«
    »Eine Person – eine Wählerstimme: Das ist
überholt«, sagt Alan. »Wir müssen uns erneut mit
der umfassenderen Frage befassen, wie wir Identität definieren,
und das Stimmrecht überdenken. Hat jeder lebendige Körper
eine Wählerstimme? Oder jedes mit Intelligenz begabte
Individuum? Was ist dann mit einer Intelligenz, die sich auf mehrere
Individuen verteilt? Was das Gleichberechtigungsgesetz in diesem
Punkt vorschlägt, hat grundsätzliche Mängel, denn es
basiert auf einem Individualitätskult, der die wahre
Komplexität des Posthumanismus in keiner Weise
berücksichtigt.«
    »Darin ähnelt es den Vorschlägen für das
Wahlrecht von Frauen im neunzehnten Jahrhundert«, fügt
Monica besserwisserisch hinzu. »Das Wahlrecht sollte
nämlich nur den Ehefrauen von Grundbesitzern zugestanden werden.
Die Entwürfe für ein Gleichberechtigungsgesetz gehen an der
Sache vorbei.«
    »Ah, oui.« Plötzlich in die Defensive
getrieben, verschränkt Annette die Arme. Es ist nicht das, was
sie zu hören erwartet hat, sondern stellt den elitären
Aspekt der posthumanistischen Argumentationsweise dar. Und diese
Einstellung ist nach Annettes von der Aufklärung geprägten
Vorstellungen potenziell genauso gefährlich wie das Festhalten
an Königen von Gottes Gnaden.
    »Sie gehen nicht nur an dieser einen Sache vorbei.« Alle
Köpfe drehen sich in die Richtung, aus der sie nichts erwartet
haben. Manfred hat die Augen wieder geöffnet. Als er sich im
Zimmer umblickt, erkennt Annette bei Manfred einen Funken von
Interesse, der vorher nicht da war. »Im letzten Jahrhundert
haben Menschen dafür bezahlt, dass nach ihrem Tod ihre
Köpfe eingefroren wurden. Sie hofften, man werde sie später
rekonstruieren können. Ihnen wurden keine Bürgerrechte
zugestanden. Die Rechtsprechung ging damals nicht davon aus, dass der
Tod rückgängig zu machen ist.
    Wie also behandeln wir den Fall, wenn Sie als Kollektiv damit
Schluss machen, Bob wiederauferstehen zu lassen? Ist Bob dann aus dem
kollektiven Borganismus ausgestiegen? Oder steigt er später
vielleicht wieder ein?« Manfred streckt die Hand hoch und reibt
sich müde über die Stirn. »Tut mir Leid, ich bin in
jüngster Zeit nicht ich selbst gewesen.« Sein Gesicht
verzieht sich kurz zu einem schiefen, leicht manischen Grinsen.
»Sehen Sie, ich habe Gianni schon eine ganze Weile gesagt, dass
wir ein neues juristisches Konzept für das brauchen, was wir als Person definieren wollen. Ein Konzept, das intelligenten
Körperschaften, künstlich hergestellten Dumpfbacken und
Leuten, die sich von einem kollektiven Verstand abspalten, ebenso
Rechnung trägt wie reinkarnierten Uploads. Die Leute, die zur
Frömmigkeit neigen, haben derzeit viel Spaß mit
Identitätsfragen. Warum denken wir Posthumanisten nicht
über diese Dinge nach?«
    Annettes Schultertasche beult sich aus. Aineko streckt den Kopf
heraus, schnüffelt in der Luft herum, schiebt sich aus der
Tasche, plumpst auf den Teppich und beginnt sich unter

Weitere Kostenlose Bücher