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Accelerando

Accelerando

Titel: Accelerando Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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Schulter, damit er leicht an sie herankommen kann. Als
im Äther ringsum leises Geschwätz zu vernehmen ist, stellen
sich ihr die Nackenhärchen auf. Hinter der Brille funkeln
Manfreds Augen in so leuchtendem Blau, als wäre er an eine
Hochspannungsleitung angeschlossen.
    »Oh. Wow!« Während Manfred sich aufsetzt und die
Bettdecke von seinen nackten Schultern rutscht, hält Annette den
Atem an.
    Als sie sich nach der stillen Gestalt auf dem Stuhl links von
Manfred umsieht, reagiert der Mann mit bedächtigem, ironischem
Nicken.
    »Was ’aben Sie mit ihm gemacht?«
    »Wir haben uns um ihn gekümmert, das ist alles. Als er
hier ankam, war er äußerst verwirrt, und sein Zustand hat
sich im Laufe des Nachmittags noch verschlimmert.«
    Annette hat diesen Mann zwar noch nie gesehen, doch intuitiv
spürt sie, dass sie ihn kennt. »Sie müssen
Robert… Franklin sein, stimmt’s?«
    Er bestätigt es mit einem Nicken. »Der Avatar ist aktiviert.« Plötzlich ist ein dumpfer Aufschlag zu
hören: Manfred ist mit verdrehten Augen zurück aufs Bett
gesunken. »Entschuldigung… Monica?«
    Die junge Frau auf der anderen Seite des Bettes schüttelt den
Kopf. »Nein. Derzeit bin ich ebenfalls Bob.«
    »Oh, na gut, dann sag du ihr bitte, dass ich Manfred etwas
Saft geben muss.«
    Die Frau, die auch Bob Franklin verkörpert – oder die
Teile von ihm, die seinen Kampf mit einem seltenen Hirntumor vor acht
Jahren unbeschadet überstanden haben –, fängt Annettes
Blick auf, schüttelt den Kopf und deutet ein Lächeln an.
»Als Synzytium ist man niemals allein.«
    Annette runzelt die Brauen. Sie muss ein lexikalisches Programm zu
Rate ziehen, um den Satz zu übersetzen. »Synzytium? Eine
große Zelle mit mehreren Zellkernen? Oh, jetzt verstehe ich,
was Sie meinen. Sie verfügen über die neuen Implantate, die
alles noch besser aufzeichnen können.«
    Die junge Frau zuckt die Achseln. »Möchten Sie etwa
sterben und als neutraler Beobachter in einer Neuinszenierung mit
geringer Bandbreite wiederauferstehen? Oder als Schatten nagender
Erinnerungen, im Schädel eines Fremden?« Sie schnaubt
verächtlich, was überhaupt nicht zu ihrer sonstigen
Körpersprache passt.
    »Bob muss einer der ersten Borganismen gewesen sein
– der menschlichen Borganismen, meine ich. Nach Jim
Bezier.« Annette sieht zu Manfred hinüber, der leise zu
schnarchen begonnen hat. »Muss viel Arbeit gewesen
sein.«
    »Die Überwachungsgeräte haben damals Millionen
gekostet«, sagt die Frau – Monica? –, »und keine
sonderlich gute Arbeit geleistet. Eine der Bedingungen dafür,
dass wir weiterhin Zugriff auf Bobs Forschungsetat haben, besteht
darin, dass wir in regelmäßigen Abständen Teile von
ihm aktivieren. Er wollte eine Art zusammengesetzten Zustandsvektor
schaffen – zusammengestückelt aus den Bits und Teilchen
anderer Menschen –, und zwar als Ergänzung zu den wenigen
Einzelteilen, die ich – er – beim damaligen Stand der
Technologie aufzeichnen konnte.«
    »Verstehe.« Annette streckt die Hand aus und streicht
Manfred geistesabwesend ein vorwitziges Haar aus der Stirn. »Wie
ist es, Teil eines kollektiven Verstandes zu sein?«
    Monica, die diese Frage offensichtlich komisch findet, rümpft
die Nase. »Wie ist es, die Farbe Rot zu sehen? Wie ist das Leben
als Fledermaus? Das kann ich Ihnen nicht sagen, ich kann’s Ihnen
nur zeigen. Wissen Sie, wir alle haben jederzeit die Möglichkeit
auszusteigen.«
    »Aber aus irgendwelchen Gründen tun Sie’s
nicht.« Als Annette sich über den Kopf streicht, spürt
sie unter dem kurzen Haar die fast unsichtbaren Narben. Darunter ist
ein Netzwerk von Implantaten verborgen – Hilfsmittel, die
Manfred abgelehnt hat, als sie vor ein, zwei Jahren auf den Markt
kamen. (»Diese klebrige Nanotech nach Darwinschem Muster, die
sich unauflöslich mit dem Gehirn verbindet, ist für saubere
Interfaces nicht geeignet«, hat er gesagt. »Lieber bleibe
ich bei Hilfsmitteln, über die ich frei verfügen kann,
vielen Dank auch.«)
    »Nein, vielen Dank. Und ich glaube, auch Manfred wird Ihr
Angebot nicht annehmen, wenn er aufwacht.« (Subtext: Sie
bekommen ihn nur über meine Leiche!)
    Monica zuckt die Achseln. »Da entgeht ihm was, nicht
uns. Auch in der Singularität wird er nicht ewig leben, genauso
wenig wie andere Jünger unseres gütigen Lehrers. Im
Übrigen sind sowieso derart viele Konvertiten zu uns
gestoßen, dass wir schon gar nicht mehr wissen, was wir mit
ihnen anfangen sollen.«
    Plötzlich schießt Annette

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