Accra: Roman (German Edition)
komplexeren Werken. Er war ein Bastelgenie undbaute die raffiniertesten Autos, Trucks und Motorräder aus leeren Dosen und Milchkartons, Streichholzschachteln, Flaschenverschlüssen, Gummibändern und Pappstückchen. Die fertigen Modelle sahen erstaunlich hübsch aus, angesichts der Materialien, mit denen Hosiah arbeitete.
»Wow«, sagte Dawson. »Ist das ein Raumschiff?«
»Ja.« Der Junge hielt es ihm voller Stolz hin. »Guck mal, Daddy, hier sind die Düsen für den Start. Der Pilot steigt da rein und kann aus diesem Fenster rausgucken.«
Das Fenster war ein Plastikviereck, das Hosiah aus einer Wasserflasche geschnitten hatte. Seit Neuestem hatte er sein Repertoire von Landfahrzeugen auf Flugzeuge ausgeweitet, und nun bewegte er sich also zum ersten Mal in den Weltraum hinein.
»Wie weit kann dein Raumschiff denn fliegen?«
»Ähm, bis zum Mond, glaub ich. Nein, bis zur Sonne!«
»Wirklich? Da wird es aber ganz schön heiß.«
Hosiah überlegte einen Moment. »Dann bau ich was, damit es nicht brennt.«
Dawson sah ihm zu, wie er einen »Hitzeschild« konstruierte, vorgebeugt und vollkommen in seine Arbeit vertieft. Dawson strich ihm über den kleinen runden Kopf. Sein Sohn war sieben Jahre alt, litt an einer angeborenen Herzerkrankung und war dennoch von einer Begeisterungsfähigkeit und Lebensfreude, dass es Dawson jeden Tag aufs Neue faszinierte.
Christine erschien in der Tür. »Wollen wir noch in den Park?«
Dawson sah auf seine Uhr. Sie wären schon früher hingegangen, hätte er nicht den Anruf bekommen. »Ja, können wir. Hosiah, räum schnell auf, dann gehen wir, okay?«
»Okay, Daddy.«
Im Wohnzimmer fragte Dawson Christine: »Wie ging es ihm heute?«
»Eigentlich sehr gut«, antwortete sie.
»Schön. Dann können wir im Park ein bisschen Ball spielen. Aber übertreiben wir es nicht.«
»In Ordnung. Was wolltest du mich vorhin fragen?«
Er erzählte Christine von Sly und dessen Onkel. »Ich hätte gern, dass der Junge auf eine Schule kommt.«
»Sehen wir mal, was ich tun kann. Aber dir ist klar, dass er vielleicht nie dort auftaucht, selbst wenn wir ihn anmelden.«
»Dann muss ich eben versuchen, dafür zu sorgen, dass er sich dort blicken lässt.«
Sie lächelte.
»Was heißt dieser Blick?«, fragte Dawson.
»Dich stört es, dass Onkel Gamel damit durchkommt, den Jungen nicht zur Schule zu schicken.«
»Stimmt, das stört mich gewaltig.«
In dieser Nacht lag Dawson, der oft mit Schlaflosigkeit kämpfte, wach in seinem Bett. Er sah in die Dunkelheit, als er über ihren Ausflug in den Efua Sutherland Park nachdachte. Nicht, dass er schlecht gewesen wäre. Christine und er hatten mit Hosiah Fangen gespielt, wobei sie ihm den Ball möglichst genau in die ausgestreckten Hände warfen. Das war besser, denn das Laufen strengte ihren Sohn zu sehr an. Überhaupt balancierten Christine und Dawson beständig auf einem schmalen Grat, wollten sie Hosiah doch einerseits so aktiv sein lassen, wie es ein Junge seines Alters sein sollte, andererseits aber alles vermeiden, was für sein Herz mit dem Ventrikelseptumdefekt zu viel werden konnte. Hosiahs Symptome variierten von Tag zu Tag, was der Junge mit der sich verändernden Größe der Schädigung erklärte: »Heute ist das Loch in meinem Herz ganz klein, Daddy.«
Bisher schien Hosiah nie das Gefühl zu haben, mit ihm würde insgesamt etwas nicht stimmen, was Christine und Dawson als großes Glück empfanden. Dennoch war beiden klar, dass Hosiahs Anpassungsfähigkeit, körperlich wie psychisch, nicht von Dauer sein würde.
Seine Medikamente überdeckten das Problem lediglich. Die eigentliche Lösung, eine Herzoperation, war unerschwinglich. Zwar gab es inzwischen eine staatliche Krankenversicherung, die NHIS, aber die deckte nur die Grundversorgung ab, also auf keinen Fall Herzoperationen. Seit Jahren sparten Dawson und Christine und hatten überdies eine großzügige Zuwendung von Christines Onkel bekommen, doch immer noch schien das Ziel praktisch unerreichbar. Sie hatten bei der Standard Bank, der Ecobank und bei Barclays um ein Darlehen gebeten und waren bei allen dreien als nicht kreditwürdig eingestuft worden. Zudem lag der Zinssatz bei schaurigen einundzwanzig Prozent.
Dann, vor neun Monaten, kamen wunderbare Neuigkeiten: Der GPS verkündete, man wolle ab sofort alle Behandlungs- und Operationskosten für Mitarbeiter und deren Angehörige übernehmen. Für einen Moment waren Christine und Dawson voller Hoffnung gewesen und hatten sich
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