Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition)
Generation: Gudrun Pausewangs Die letzten Kinder von Schewenborn - die größte Angst die war, das nächste Atomkraftwerk werde in die Luft fliegen.
Wenn ich die Texte meiner Generationskolleginnen las, hatte ich bislang stets den Eindruck, sie hätten unter nichts mehr gelitten als unter der ideologischen Borniertheit ihrer 68er-Eltern. Nun sieht es so aus, als ob sie in ihrem politischen Denken um keinen Deut weniger ideologisch wären als diese selbst.
Und was hat das alles mit Frauen zu tun? Sieht man von dem Interview ab, dass Juli Zeh schon im Juni für die Brigitte mit sich selbst führte, um festzustellen, es sei eine Zumutung, auf »das Merkel« angesprochen zu werden, nur weil man Frau ist – gar nichts. Doch dann begann die taz letzten Samstag damit, ein Großaufgebot verschiedenster Künstlerinnen in Stellung zu bringen, die an Angela Merkel alle die gleiche besorgte Frage richteten: Aber werden Sie auch Frauenpolitik machen?
Ich vermute: nein, nicht wirklich. Doch an diesem Punkt lässt sich zeigen, worum es in der Auseinandersetzung eigentlich gehen sollte: Wollen wir weiter eine Regierung mit einem protektionistisch-paternalistischen (oder meinetwegen auch »maternalistischen«) Staatsverständnis? Oder wollen wir eine Regierung, für deren Chefin das zentrale Konzept der Eigenverantwortung immerhin kein Fremdwort zu sein scheint?
Wichtiger als Frauenpolitik ist eine Frau ganz vorn in der Politik. Es ist wahr, Deutschland liegt weit hinten, was zum Beispiel Ganztagsbetreuung für Kinder und damit die Entlastung von berufstätigen Müttern angeht. Aber Deutschland ist auch ein Neandertal, was die Beschreibungs-, Rezeptions- und Verhaltensmuster im Umgang mit Frauen in Führungspositionen angeht. So sagte Siemens-Chef Heinrich von Pierer im Jahre 2000 auf einem CSU-Parteitag zu Angela Merkel: »Ich habe nach Ihrer Rede auch geklatscht. Ich bin sogar aufgestanden.« Damals konterte Angela Merkel mit einem: »Gut, dann komme ich auch und klatsche, wenn Sie auf Ihrer Hauptversammlung reden.« Jetzt hat sie den Exchef zu ihrem Chefberater gemacht.
Und damit zurück zur »List der weiblichen Vernunft«. Ob einer meiner frauenbesorgten Kolleginnen schon einmal der Gedanke gekommen ist, die Tatsache, dass im Augenblick sie die politische Feuilleton-Debatte bestimmen, könnte eine erste Auswirkung davon sein, dass Angela Merkel Kanzlerkandidatin ist? Ich bin neugierig, welche Verhältnisse in diesem Land noch in Bewegung geraten, wenn Angela Merkel im Herbst tatsächlich Kanzlerin ist.
Gute Deutsche
Der deutsche Intellektuelle warnt vor dem deutschen Staat. Thea Dorn warnt vor dem deutschen Intellektuellen.
Die politisch-intellektuelle Öffentlichkeit in Deutschland ist besorgt. Warum? Weil das Bundesland Baden-Württemberg einen Katalog mit dreißig Fragen eingeführt hat, welche die Beamten in den Einbürgerungsbehörden seit erstem Januar jenen stellen, die deutsche Staatsbürger werden wollen. So sollen die Beamten den Einbürgerungswilligen fragen, ob er es für einen Fortschritt hält, dass Männer und Frauen in Deutschland kraft Gesetz gleichberechtigt sind. Ob er es für zulässig hält, dass ein Mann seine Frau oder seine Tochter einschließt, um zu verhindern, dass sie ihm in der Öffentlichkeit »Schande macht«. Ob er denkt, dass Kritik an Religion zulässig ist. Oder was er von der Behauptung hält, die Juden seien für alles Böse in der Welt verantwortlich. Jeder Verein hat das Recht, sich genauer anzuschauen, wie das Weltbild desjenigen aussieht, der bei ihm Mitglied werden will. Warum soll ein Staat dieses Recht nicht haben?
Der Politisch-Intellektuelle erwidert, ein solcher Katalog sei ein Skandal, weil er Muslime diskriminiere. Die höhnischen Hinweise, man solle die Fragen doch mal dem deutschen Normalbürgervorlegen und gucken, was da fürverfassungsfeindliche Überzeugungen ans Licht kämen, führen in die Irre. Richtig: Es gibt leider mehr als genug Deutsche, die frauenfeindlich, homophob, antisemitisch sind. Aber es ist eine perverse Auslegung des Gleichheitsgrundsatzes, daraus zu schließen, der deutsche Staat sei deshalb verpflichtet, jedem Frauenfeind, Homophoben und Antisemiten ebenfalls die Staatsbürgerschaft zu geben. Der schlimmste Aspekt liegt für den Politisch-Intellektuellen allerdings darin, dass der deutsche Staat mal wieder »Gesinnungsschnüffelei« betreibt. Denn haben wir damit in zwei deutschen Diktaturen nicht genug böse Erfahrungen gemacht?
Wann
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