Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition)
glaubten an die »List der Vernunft«. Beide Ideen haben sich durch den Hinterausgang der Geschichte verabschiedet. Wenn man dieser Tage die Wahlkampf-Feuilletons liest, kommt man allerdings zu dem Ergebnis, dass so etwas wie eine »List der weiblichen Vernunft« am Werk sein muss. Zum ersten Mal kandidiert eine Frau fürs Kanzleramt. Zum ersten Mal sind neunzig Prozent aller Schriftsteller, Schauspieler, Musiker, die sich ins wahlkämpferische Getümmel werfen, Frauen. Frauen, deren größte Sorge es ist, Angela Merkel könnte Kanzlerin werden.
Angefangen hat alles wie immer. Mit Günter Grass. Und seiner düstren Prophezeiung, sollte am 18. September der rot-grüne Stern sinken, werde das deutsche Abendland gleich mit untergehen. Neu war, dass sich im Schatten des Nobelpreisträgers diesmal vor allem Autoren versammelten, die den Höhenflug der SPD unter Willy Brandt allenfalls aus der Windelperspektive erlebt hatten. Und dass auffällig viele Autorinnen dabei waren.
Der Ton wurde rauer, nachdem sich abzeichnete, dass die Resonanz auf die Jungdichter-»Kampa o5« schwächlich zu bleiben drohte. Schriftstellerkollegen wie mich, die sich bislang nicht zu Rot-Grün bekannt hatten, erreichte eine Rund-E-Mail (»unterschreiben!.doc«), deren zentrales Argument lautete: Es sei völlig egal, welche Einwände man gegen das »rot-grüne Projekt« im Einzelnen habe, schließlich ginge es einzig und allein darum, dass man doch ganz sicher wisse, was man keinesfalls wolle – von der CDU/ CSU regiert werden.
Die Zahl der Kollegen, die sich wach gerüttelt an die Stirn geschlagen und nach dem Unterschriftengriffel gefasst haben, muss überschaubar gewesen sein, deshalb legte Eva Menasse mit einer verschärften Kollegenschelte nach: Ihr Feiglinge habt Angst, euch die Dichterpfötchen schmutzig zu machen. Angesichts des Gedankens, man unterschreibe deshalb nicht, weil man zu den »höchstens fünfzehn Idioten« gehören könne, die mit Schwarz-Gelb sympathisieren, befiel Eva Menasse ein derartiges Grauen, dass sie ihn gleich wieder fallen ließ. Nebenbei sei angemerkt, dass sich zu diesem Zeitpunkt eine »Idiotin« bereits öffentlich zu erkennen gegeben hatte: Monika Maron. Ihr Artikel »Die deutsche Frage«, in dem sie Stellung für Angela Merkel bezogen hatte, wurde von der erbosten Schriftstellerkollegin mit keiner Silbe erwähnt. Dafür bezog sich Tanja Dückers wenige Tage später explizit auf Menasse und pochte auf ihr schriftstellerisches Recht »visionär« und nicht »pragmatisch« zu sein. Und als wolle sie der strengen Kollegin die Legitimation für ihre Kritik nachweisen, erklärte sie in ihrem Artikel brav, dass auch sie ihre Kreuzchen am Wahltag vermutlich bei Rot-Grün machen werde.
Woher kommt dieser anscheinend durch nichts erschütterbare Glaube, dass die Rot-Grünen in jedem Fall die Guten, die Schwarz-Gelben die Bösen sind? Auch ich hatte in meinem Jugendzimmer in den 8oer Jahren die ersten Wahlplakate der Grünen hängen. Auch ich habe im letzten Wahlkampf gesagt: Schröder muss Kanzler bleiben. Aber muss ich das deshalb drei Jahre später immer noch sagen – wo sich nicht einmal der Kanzler selbst mehr sicher ist, ob er Kanzler bleiben will?
»Ja!«, scheinen meine Generationskolleginnen in erstaunlicher Eintracht zu rufen. »Nie wieder sechzehn Jahre Kohl!« Glauben sie wirklich, dass es mit einer Kanzlerin Merkel – die als Einzige in ihrer Partei den Mut hatte, den kohlschen Filz als Filz zu benennen – »gehe zurück zu 1982« heißen wird, ganz so, als wäre die Geschichte ein großes Monopoly-Spiel?
»Aber der Irak-Krieg!« In der Unterstützerdepesche für die SPD, die eine andere Schriftstellerin meiner Altersgruppe ins Netz gestellt hat, heißt es: »Nein zu Kriegseinsätzen? Auf immer und ewig!«
Und was ist, wenn im Nahen/Mittleren Osten oder in Nordafrika weitere islamistisch-faschistische Regierungen à la Taliban entstehen? Wenn Terroristen nicht länger einen höflichen Attentatsbogen um uns machen und unser pazifistisches Musterländle lediglich zur Planung benutzen, wie sie die Häuser unserer Nachbarn anzünden? Und war es nicht der SPD-Verteidigungsminister Struck, der den Satz sagte: »Deutschlands Sicherheit wird am Hindukusch verteidigt.«?
Könnte es sein, dass diejenigen, die am lautesten: »Nie wieder 8oer-Jahre-Stillstand« rufen, in Wahrheit selbst hoffnungslos im 8oer-Jahre-Weltbild steckengeblieben sind? Wo – befeuert vom zentralen Jugendlektüre-Erlebnis meiner
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