Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition)
immer in Deutschland der politisch-intellektuelle Besorgnispegel steigt, ist Titel , Thesen, Temperamente zur Stelle. So nahm sich das Kulturmagazin der ARD vergangenen Sonntag unter dem Titel »Demokratie-Check für Muslime: Wer darf bei uns Deutscher sein?« des Themas an. Zu Wort kamen der Politik- und Islamwissenschaftler BassamTibi, der Schriftsteller Peter Schneider, die Frauenrechtsaktivistin Serap Cileli, die von ihrer Familie gleich zweimal zwangsverheiratet wurde, und die Anwältin Seyran Ates, die zwangsverheiratete Frauen bei Scheidungen vertritt. Beide Frauen, nicht zuletzt auf deren Initiative hin der Baden-Württembergische Vorstoß geschah, erklärten, dass sie den Fragenkatalog für ein probates Mittel halten, um Probleme wie Frauenunterdrückung, Zwangsverheiratungen und Ehrenmorde besser in den Griff zu bekommen. Bassam Tibi und Peter Schneider waren sich einig, dass der deutsche Staat seinen Bürgern nicht in die Köpfe schauen darf. Recht haben sie. Nur vergaßen leider beide das winzige Detail, dass es hier nicht um einen »Gesinnungs-Check« geht, der bei deutschen Staatsbürgern durchgeführt werden soll. Sondern bei Leuten, die sich um die deutsche Staatsbürgerschaft bewerben.
Man könnte es leicht als Geschichten aus der Rappelkiste belächeln, wenn Peter Schneider später im Interview die Parallele zum Radikalenerlass unter Bundeskanzler Willy Brandt zieht, der ihn damals seinen Job als Lehrer gekostet hat – jeder hat das Recht, sein Trauma zu pflegen. Abstrus wird es jedoch, wenn Peter Schneider sein 68er Ich-warein-Opfer-des-deutschen-Staates-Uberlegenheitsgefühl dazu benutzt, im nächsten Satz zu sagen: »Ich schätze Seyran Ateş sehr, aber ich glaube, sie kennt Deutschland da zu wenig.« Hallo? Hat sich da gerade jemand über die Diskriminierung von Ausländern beklagt? Ganz gleich, wie viele wohlmeinende Artikel Peter Schneider in letzter Zeit über Seyran Ateş, Serap Çileli und Necla Kelek geschrieben hat – der Schriftsteller offenbart eine zutiefst diskriminierende Haltung, wenn er einer türkischstämmigen Frau, die seit 1969 in Deutschland lebt, seit acht Jahren als Anwältin im deutschen Justizsystem arbeitet, unterstellt, sie wisse nicht genug von Deutschland. Deutscher ist künftig also nur noch, wer in Deutschland geboren ist? Oder: Deutscher ist nur noch, wer 1968 dabei war und deshalb weiß, wie der deutsche Hase läuft?
Machen wir ein kleines Gedankenexperiment: Stellen wir uns vor, im Jahr 2005 wären nicht, wie geschehen, neun Frauen mit muslimischem Hintergrund von ihren Brüdern oder Vätern aus Gründen der »Ehre« ermordet worden, sondern neun Männer oder Frauen jüdischen Glaubens wären von Muslimen aus antisemitischen Motiven ermordet worden. Und sagen wir: Maxim Biller hätte gefordert, dass Deutschland sich künftig etwas genauer anschauen soll, ob es seine Staatsbürgerschaft nicht leichtfertig an Antisemiten vergibt. Hätte Peter Schneider die Chuzpe gehabt zu sagen: Nun ja, Herr Biller kennt sich in Deutschland nicht so gut aus? Könnte es sein, dass Peter Schneider über den Fragenkatalog auch deshalb so erbost ist, weil er selbst bei den Fragen nach der Gleichberechtigung von Mann und Frau ins Schlingern geriete?
Man kommt nicht umhin, den Verdacht zu haben, dass der deutsche Politisch-Intellektuelle lieber im ewigen Antifaschismus, Antitotalitarismus, Anti-Deutsch-Sein schwelgt, als sich den Fragen der Zeit zu stellen. Anstatt die Anstöße, die von Ateş, Çileli und Kelek ausgehen, ernst zu nehmen und über unsere deutsche Identität, über unser Staatsverständnis im Jahre 2006 nachzudenken, wird der Eindruck erzeugt, hysterische Türkinnen, die nicht wissen, wie gefährlich der deutsche Staat im Kern stets ist, scheuchten uns in den nächsten Totalitarismus. Aber bislang sind es ja auch nur muslimische Frauen, die in Deutschland aus Gründen der »Ehre« getötet werden. Was wird sein, wenn der erste deutsche Schriftsteller im Namen der »muslimischen Ehre« getötet wird? Allerdings: Welcher deutsche Schriftsteller hat schon den Mut eines Theo van Gogh?
Neuer Feminismus
Thea Dorn träumt von einer Frauenbewegung, die alle leidenschaftlichen Individualisten bewegt.
Wollte man bzw. frau in den letzten zwanzig Jahren auf einer Party seine Ruhe haben, reichte es, sich als »Feministin« oder auch nur vorsichtige »Feminismussympathisantin« zu outen. Doch seit diverse Publizisten begannen, im Jahr eins der Merkelschen
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