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Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition)

Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition)

Titel: Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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zwischen Edelhofnarren und Höchstsoldlegionären, die für die Franzosen, die selbst keinen Fußball spielen können, den zweiten Trikotstern holen sollen. Als im letzten Winter die Banlieues brannten, versuchten einige der Spieler, die Jugendlichen zur Besonnenheit aufzurufen. Die Rufe verhallten. Ein Fußballmillionär, der aus einer nordafrikanischen Einwandererfamilie stammt, macht noch keine Integration.
    Deshalb wage ich auch zu bezweifeln, dass wir in Deutschland automatisch einen relevanten Integrationsschub erleben sollten, würden mehr Spieler mit Migrationshintergrund in der deutschen Nationalmannschaft spielen, wie gefordert wird. Fußball mag in der Tat nützliche Charaktertugenden wie Durchhaltevermögen, Disziplin und Teamfähigkeit befördern. Zu einer inhaltlich gehaltvollen, normativ tragfähigen Identifikation mit dem Land, in dem man lebt, führen Dribbeln, Vorstoppen und Raumdecken allein noch lange nicht. So wie es um eine Mehrheitsgesellschaft selbst bedenklich bestellt ist, die nur noch Sportler als Vorbilder kennt, Leistungen nur noch als solche erfasst, wenn sie sich in Toren und Stundenkilometern messen lassen, wird sie auch keine Einwanderer dazu animieren können, sich mit ihr zu identifizieren. Das deutsche Fähnchen, das beim Autokorso lustig neben dem türkischen weht, verrät nicht mehr über den Geist seines Trägers als die schwarz-rot-gelbe Schminke im Gesicht der weinenden Dortmunderin.

IV Kinder, Küche Kicker ,
     
    Das Verhältnis von Frauen und Fußball ist ein komplexes. Und gibt zu ungefähr so vielen Spekulationen Anlass wie das Bernsteinzimmer. Die Bundeskanzlerin erboste in ihrer Neujahrsansprache manch männliches Gemüt, als sie sagte: »Die Frauenfußball-Nationalmannschaft ist ja schon Weltmeister, und ich sehe keinen Grund, warum Männer nicht das Gleiche leisten können wie Frauen.« Vermutlich hatte die Kanzlerin inmitten des ganzen Gesundheitsreformierens keine Zeit, das Feuilleton der FAZ zu lesen. Falls doch, weiß sie jetzt, warum die Männer in diesem Sommer nicht Weltmeister geworden sind: ihretwegen.
    Eigentlich sollte der Journalist Eberhard Rathgeb nur einen Bildband mit dem schönen Titel Die Küche. Lebens- welt – Nutzung – Perspektive rezensieren. Doch unter der Hand geriet ihm die Rezension zu einer Theorie von »Sieg und Niederlage im Heimspiel der Frauen gegen die Männer«. Im Jahre 1982 zettelte der deutsche Gestalter Otl Aicher, dem beispielsweise die Lufthansa ihr Kranichpiktogramm verdankt, eine Küchen-Perestroika an, indem er die Abschaffung der Kochküche forderte und dafür plädierte, die Küche in den Wohnraum zu integrieren: Ein klarer Befreiungsschlag für die Frau am Herd. Und was passierte an der Männerfußballfront? Bei der WM in Spanien verloren die Deutschen im Finale gegen Italien 1:3. Und Rathgeb äußerte den Verdacht, dass die deutschen Männer auch 1974 keine Chance auf den Weltmeistertitel gehabt hätten, wäre Alice Schwarzers Der kleine Unterschied schon ein Jahr früher und nicht erst 1975 erschienen.
    So gesehen war das Schicksal unserer sympathischen Fußballjungs bereits am 22. November des letzten Jahres besiegelt, als zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik eine Frau ins Kanzleramt gewählt wurde. Umgekehrt betrachtet sollten sich die weiblichen deutschen Fans ganz schnell die letzten Tränen aus den Augen wischen: Die Niederlage unserer Jungs muss bedeuten, dass sich an der Frauenfront etwas bewegt.
    Dabei konnte man in den vergangenen Monaten durchaus den Eindruck haben, ein paar nervenschwache Gemüter versuchten ernsthaft, das Emanzipationsrad zurückzudrehen. Doch dank Rathgeb begreifen wir jetzt: War alles nur WM-Vorbereitung! Ein paar seherisch begabte Männer wollten einfach genau das verhindern, was eingetreten ist: Dass die Deutschen den Titel verpassen. Sorry, Jungs! Hätten wir geahnt, dass Bier trinkende Frauen in Fußballfantrikots euch dermaßen verunsichern, wären wir zu Hause geblieben und hätten vorm Fernseher gebügelt. Und statt Monica Lierhaus hätten wir euch wieder Waldi Weißbier vorbeigeschickt. Und der Kanzlerin hätten wir striktes Stadionverbot erteilt. Die Soziologen vermeldeten gestern, die WM sei vor allem wegen der vielen weiblichen Fans so friedlich verlaufen. Na also. Das ist doch auch etwas. Im Augenblick können wir offensichtlich nicht beides haben: Sieg und Frieden. Wir arbeiten dran.

Ein starkes Signal
     
    Angela Merkel ist seit einem Jahr Kanzlerin. Thea

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