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Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition)

Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition)

Titel: Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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harte und gütige Entzugsbegleiterin zugleich! Sie mussten sich an das bestehende System anpassen, um überhaupt ins Kanzleramt zu kommen. Aber jetzt, wo Sie >drin< sind, merken Sie doch selbst, dass Sie mit dem Weg der Anpassung nur schwach erfolgreich sind. Sie haben am eigenen Leib erfahren, wie gefährlich es ist, auf Fassaden hereinzufallen. Und Sie besitzen die geistige Klarheit, die ermöglichen könnte, dass in diesem Land mehr Klarheit herrscht.«
    Ich gestehe: Vielleicht bin ich an dieser Stelle nicht frei von Zweckoptimismus. Als Frau, die daran interessiert ist, dass Frauen sich weitere Handlungs- und Machtspielräume erkämpfen, muss ich Angela Merkel Erfolg wünschen. Der aktuelle Rollback zeigt, wie zementiert das Geschlechterdenken in unserer Gesellschaft nach wie vor ist. Sollte die Kanzlerin scheitern, bräuchten wir keinen Tag zu warten, und es würde heißen: »Wir haben’s doch gleich gewusst. Klar, dass eine Frau es nicht kann.« Die Folgen wären fatal – nicht nur für deutsche Politikerinnen, die nach Angela Merkel ins höchste Regierungsamt streben, sondern für alle Frauen, die im Leben mehr wollen als Apfelkuchen backen. Wie der Bundestagspräsident im November 2005 sagte: Es ist ein mächtiges Signal, dass wir die erste deutsche Kanzlerin haben. Es wäre ein noch mächtigeres Signal, sollte die erste deutsche Kanzlerin scheitern.

Tor! Tor!! Tor!!! – oder: Das Wunder von Bayreuth
     
    Thea Dorn lauscht Wagners »Parsifal« und anderen reinen Toren .
     
    Einar Schleef wollte es tun. Christoph Schlingensief hat es getan. Und Bernd Eichinger wird es tun: Parsifal inszenieren. Wie kommt es, dass ein Wort- und Theaterwüterich, ein Agitprop-Guru und ein smarter Filmproduzent, allesamt Männer, die nie zuvor Hand an eine Oper gelegt haben, sich ausgerechnet von Wagners Spätling dazu hinreißen lassen?
    Natürlich ist derTrend zum Eventvon Berlin bis Bayreuth ein allgemeiner – da gibt es Doris Dörries’sche Turandots und Cosìs und einen Ring vom Dänenfilmer Lars von Trier hätte es beinahe auch gegeben – aber es ist auffällig, dass kein anderes Werk so viele prominente Opernabstinenzler zur Regie verführt wie Parsifal.
    Die notorischen Kommentare zum Bühnenweihfestspiel sind relativ einhellig. Die Musik: das Stärkste, Radikalste, das Wagner je komponiert hat. Aber der Inhalt? Thomas Manns Urteil – noch das freundlichste – lautet: Fin-de-Siècle-Hysterie, eine Gesellschaft am Abgrund. Nietzsche hält den Parsifal für den Gipfel christlicher Heimtücke. Und Adorno wittert faschistoiden Heilswahn.
    Beweisen die Männer, die dieser Tage dem Parsifal erliegen, also lediglich ein besonders feines Gehör? Oder könnte es sein, dass gerade der von der versammelten Großintelligenz in den Orkus getretene Inhalt die eigentlichen Lockstoffe verströmt?
    Versuchen wir einmal nüchtern zu betrachten, was Parsifal uns erzählt: Die Gralsritter haben ein Problem. Sie sind eine verschworene Männergemeinschaft, die im Wesentlichen zwei Aufgaben hat: Sich ihre Keuschheit zu bewahren. Und als eine Art internationale Eingreiftruppe rund um den Globus »höchste Rettungswerke« zu vollbringen. Letzteres scheint Wagner jedoch nicht weiter zu interessieren, an keiner Stelle verrät er uns im Parsifal, wie ein »höchstes Rettungswerk« aussehen könnte – jenseits der Erlösungstat innerhalb der Gralsgemeinschaft am Schluss der Oper. So reduziert sich die Aufgabe der wagnerschen Gralsritter darauf, den Lockungen des Fleisches zu widerstehen. Und genau dort sitzt das Problem: Amfortas, der oberste Gralsritter, ist schwach geworden. Hat sich in Klingsors »Zaubergarten« ausgerechnet von Kundry, der teuflischsten aller teuflischen Frauen verführen lassen. Die Strafe folgt prompt und ist drastisch. Seit seiner Entjungferung hat Amfortas eine Wunde »in der Seite« – oder doch eher unterhalb der Gürtellinie? – die nicht heilen will. Die in regelmäßigen Abständen aufbricht und blutet. Erinnert uns das an etwas? So befremdlich es klingen mag, aber: Amfortas scheint zu menstruieren. Sich beim Weibe mit Syphilis, Tripper oder einer anderen hässlichen Krankheit anzustecken, gehört fest zum Katalog der beliebtesten Männerängste. Dass ein Mann sich aber beim Geschlechtsverkehr mit einer Frau deren Monatsblutung einfängt – auf diese Idee ist erst Wagner gekommen.
    Ein menstruierender Chef – das würde die Moral einer jeglichen Truppe treffen, aber die Gralsritter erwischt es noch

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