Ach so!
Stereoanlagen oder Waschmaschinen. Alles wurde auseinandergenommen, bestaunt, begutachtet und dann mit dem Mut der Ahnungslosen »geheilt«. Diese Kultur des aktiven Bastelns und Bauens war typisch für unsere Generation. Laborkästen und Experimentiersets fanden sich auf vielen weihnachtlichen Wunschzetteln.
Ich erinnere mich noch, wie ich mit meinem Bruder nachsitzen musste, weil wir es gewagt hatten, am Schwarzen Brett in unserer Schule ein Gesuch für alte Radios anzubringen. Die Bestrafung wurde im Lehrerkollegium kontrovers diskutiert. Obwohl das Nachsitzen nicht zurückgezogen wurde, trösteten uns in den darauf folgenden Wochen wohlmeinende Lehrer mit unzähligen alten Röhrenempfängern. Einer meinte es besonders gut mit uns und überließ uns ein schweres Flippergerät der ersten Generation.
Dieser Apparat war für uns ein wahres Füllhorn: voll gespickt mit Relais, Spulen und blinkenden Lämpchen! Tagelanglöteten wir die kostbaren Bauteile heraus und erweckten sie in anderen Geräten zu neuem Leben. Schließlich wuchs mit dem ständigen Auseinandernehmen und Zusammenbauen auch das konkrete Verständnis für Technik.
Diese Kultur des Reparierens hat sich inzwischen völlig gewandelt. Heute käme kaum ein Jugendlicher darauf, selbst Hand anzulegen an die heimische Stereoanlage, den Computer oder Papas Auto. Wenn überhaupt repariert und nicht gleich entsorgt und neu gekauft wird, bieten die modernen Aggregate kaum mehr Angriffsflächen. Unter den Motorhauben sind die verkapselten Innereien nur noch für Profis mit Spezialwerkzeug zugänglich, und selbst dort wird per Diagnosegerät inspiziert und ausgelesen, um anschließend auszutauschen.
Für die empfindlichen Motoren mag dieser Schutz vor selbsternannten Automechanikern ein Segen sein, doch für die experimentierfreudige Jugend kommt diese Sterilität unter der Motorhaube einer Kapitulationserklärung ihrer Neugier gleich. Die sinnliche, unmittelbare Erfahrung des »Begreifens« fehlt, und das engagierte Reparieren weicht zunehmend einem Aus tauschen und Wegwerfen: Verständnis wird durch Konsum ersetzt.
Dieser Trend zeigt sich überall: Wer näht noch selbst seine Kleider, wo dampfen die selbstgemachten Konfitüren, und wer züchtet noch seine eigenen Tomaten?
Die Perfektion unserer Produktionsprozesse hat die alten Manufakturen verdrängt, doch die zunehmende Spezialisierung hat ihren Preis: Gerade in der heutigen Zeit beklagen viele den mangelnden Nachwuchs in den technischen Disziplinen. Doch wo und wie soll sich das Feuer der Begeisterung entfachen? Technische Kreativität nährt sich auch aus dem mutigen Bewusstsein, selbst eine Lösung erschaffen zu können. Der Geruch von Motorenöl und der Dunst des Lötfetts sinddie Einstiegsdrogen für Techniker und Ingenieure. Doch die zunehmende Komplexität führt zu einer Entfremdung. Die Einstiegsschwellen sind zu hoch für die jugendliche Neugier!
[Menü]
Leiden wir unter zunehmendem Realitätsverlust?
91 »Du hast den Flieger verpasst, während du am Gate gewartet hast? Wie geht denn sowas?«, fragte mein Sohn fassungslos, als ich zu Hause anrief, um meine Verspätung an zukündigen. Doch, man hatte mich ausgerufen, sogar mehrmals, der Flugbegleiter vor Ort hatte mich sogar erkannt, aber ich schien so vertieft in ein Telefonat, dass er glaubte, es müsse von hoher Dringlichkeit sein und ich zöge es vor, am Boden zu bleiben. Schließlich müsse man doch merken, wenn alle um einen herum aufstehen und zum Einsteigen gehen.
Nicht nur die Wartehallen in Flughäfen gleichen inzwischen einem skurrilen Kabinett. Fast alle Passagiere sind geistig abwesend, vertieft in Gespräche mit der Außenwelt, oder dabei, die Rädchen ihrer BlackBerrys zu drehen und E-Mails zu beantworten. Manche sehen aus, als ob sie wilde Selbstgespräche führten. Sie laufen dabei auf und ab und gestikulieren wie Geisteskranke. Erst beim näheren Hinschauen entdeckt man dann den Knopf im Ohr.
Unsere Gesellschaft taucht zunehmend ab in ein Universum der Illusionen: Handys, Internet, Fernsehen. Die künstliche Wirklichkeit gewinnt immer mehr an Raum, und die virtuelle Abwesenheit hat sich in unseren Alltag geschlichen. Wo ist die Realität? Wo ist das Hier und Jetzt geblieben in einer Welt, in der jedes Individuum von einer digitalen Wolke umgeben scheint?
Unzählige Studien belegen, dass Handys und Laptops mehr und mehr an Bedeutung gewinnen. Das Ergebnis ist ein nie dagewesener Realitätsverlust. Jugendliche investieren
Weitere Kostenlose Bücher